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Arbeit

Chantal Magnin


Erstveröffentlicht: December 2020

Der Begriff «Arbeit» verweist auf Tätigkeiten ganz unterschiedlicher Art, doch sie alle dienen dem menschlichen Überleben in materieller und kultureller Hinsicht. Ihre Verrichtung geschieht in Auseinandersetzung mit und auch durch die Aneignung von Natur. Es gibt Erwerbsarbeit und nicht bezahlte Tätigkeiten wie zum Beispiel künstlerische oder politische Arbeit. Als Erwerbsarbeit werden nur jene Tätigkeiten bezeichnet, durch die auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen generiert wird, das der Sicherung des Lebensunterhalts dient. Im Unterschied dazu erweisen sich jene Tätigkeiten als nicht-monetarisiert, die in der Familie (Care Work), im Rahmen eines freiwilligen Engagements in der Politik oder in der Zivilgesellschaft (z. B. Nachbarschaftshilfe) verrichtet werden. Das politische System der Schweiz als halbdirekte Demokratie ist aufgrund der sehr weit gehenden Partizipation im lokalen Kontext ausserdem auf die Bereitschaft zur Übernahme von Ämtern und politische Aufgaben angewiesen. Der damit verbundene Arbeitsaufwand wird meist nicht entschädigt. Erwerbsarbeit wiederum trägt zur wirtschaftlichen Wertschöpfung und der Bildung von ökonomischem Kapital in der Gesellschaft bei. Der Schweizer Wirtschaft wird eine hohe Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft attestiert. Die Gründe, weshalb die wirtschaftliche Arbeitsproduktivität in der Schweiz im Ländervergleich dennoch eher gering ausfällt, sind strittig (z. B. hohe Erwerbsquote, hohe Anzahl Arbeitsstunden, vergleichsweise geringer Auto­mati­sierungsgrad).

Ursprünglich hatte das germanische Wort «Arbeit» schwere körperliche Anstrengung, Mühsal und Plage bedeutet. Was zunächst mittels Jagen und Sammeln erfolgte, wurde allmählich von Ackerbau und Viehzucht abgelöst. Es gab auch schon früh Handel zum weltweiten Austausch von Produkten. Die sich allmählich ausdifferenzierenden Berufe sorgten für ein Einkommen ausserhalb der Landwirtschaft. Die Berufe bildeten zugleich die Basis für die Bildung von Korporationen, die für die Regelung des Marktzugangs, die Ausbildung, berufliche Ethik und gegenseitige Unterstützung bereits in den mittelalterlichen Städten und bis heute in Form von Berufsverbänden eine relevante Rolle spielen. Doch erst die Industrialisierung führte zu einer Verallgemeinerung der über den Arbeitsmarkt vermittelten und damit so genannt freien Lohnarbeit als Quelle des Erwerbs. Der Verkauf der Arbeitskraft vollzog sich neu losgelöst von gemeinschaftlichen Bindungen und zwar im Tausch gegen Lohn und auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarung.

Um 1900 war die Schweiz eines der am weitest industrialisierten Länder Europas. Fabrikdisziplin, mechanisierte Arbeitsschritte sowie stärkere soziale und geographische Mobilität prägten die Lebensweise der neu entstehenden Arbeiterschaft. Der Bedarf an Arbeitskräften in der Textil- und Lebensmittelindustrie sowie später der Bauwirtschaft liess sich fortan nicht allein mit den in der Schweiz wohnhaften Arbeitskräften decken. Im Zuge der Industrialisierung wandelte sich die Schweiz vom Aus- zum Einwanderungsland. Individuen lösten sich aus ihrer traditionalen Lebenswelt, weshalb die herkömmlichen Solidarbeziehungen an Bedeutung verloren. Zugleich verschärften sich die sozialen Ungleichheiten. Die ungleiche Verteilung des ökonomischen Kapitals ermöglichte dessen Eigentümern die Ausbeutung jener, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen waren. Die daraus hervorgehenden sozialen Probleme legten den Grundstein für die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterbewegung und kulminierten in der Schweiz im Landesstreik von November 1918. Zu den neun Forderungen gehörten die 48-Stunden-Woche sowie die Einführung einer Alters- und Invalidenversicherung.

Durch die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und deren «Entbettung» (Karl Polany) drohte die Gefahr, dass der Kapitalismus die Grundlagen selbst zerstörte, auf die er letztlich angewiesen war. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Entstehung des modernen Wohlfahrtsstaats und damit einhergehend die Entstehung «sozialer Rechte» (Thomas H. Marshall) durch arbeits- und sozialpolitische Einrichtungen einerseits, andererseits durch die zwischen den Sozialpartnern vereinbarten Arbeitsbedingungen (in der Schweiz durch Gesamtarbeitsvertrag). Die Schutzmassnahmen für Arbeitskräfte schlugen sich auch in arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen im bundesweiten Fabrikgesetz von 1877 nieder. Die spätere Schaffung von Sozialversicherungen diente der Abfederung sozialer Risiken, wie sie mit einer durch Lohnarbeit finanzierten Lebensweise einhergeht. Aufgrund der aktuell zunehmenden Prekarität von Lohnarbeit in verschiedenen europäischen Ländern, dies in Verbindung mit dem teilweisen Abbau sozialer Sicherheit, sieht der französische Soziologe Robert Castel die gesellschaftlich einst beseitigten und durch den Kapitalismus verursachten sozialen Probleme erneut aufscheinen. In einzelnen Ländern nimmt die soziale Ungleichheit derzeit zu.

Da Frauen aus historischen Gründen über eine schlechtere Stellung auf dem Arbeitsmarkt verfügen als Männer, besteht für sie ein grösseres Risiko der Verarmung. Vor allem alleinerziehende Mütter sind davon betroffen. Lange standen Frauen nur zudienende berufliche Tätigkeiten offen. Der besondere Schutz der Frauen im Fabrikgesetz und die Ausgestaltung sozialstaatlicher Einrichtungen hatten die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Familie und Beruf bekräftigt. Noch heute verdienen Frauen weniger als Männer, dies obwohl in der Schweizer Verfassung der Grundsatz des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit verankert ist. Zwar stossen Frauen durch ihre Ausbildung immer mehr in gut qualifizierte Tätigkeitsbereiche vor, doch die Berufswahl erfolgt weiterhin stark entlang geschlechtlicher Zugehörigkeit. Im Vergleich zu anderen Ländern sind die geschlechtsbezogenen Unterschiede bei der Teilzeitarbeit in der Schweiz ausserdem besonders gross.

Hatte der industrielle Sektor einst auf Kosten der Landwirtschaft an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen, ist es heute vor allem der Dienstleistungssektor, der wächst. Individuelle Fähigkeiten, Wissen und Netzwerke werden zunehmend wichtiger. Wegen der Globalisierung und Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen setzen Erwerbstätige auf kontinuierliche Weiterbildung oder bereiten sich durch den Abschluss gleich mehrerer Ausbildungen auf das Berufsleben vor. Für die Beschäftigten gehen die erwähnten Entwicklungen mit zunehmender Unsicherheit und erhöhten Mobilitätsanforderungen einher. Umgekehrt intensivieren die Unternehmen ihre Bemühungen um passende Arbeitskräfte. Neue Formen der Arbeitsorganisation durch flachere Hierarchien und Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten sollen deren Arbeitszufriedenheit, aber auch die Innovationskraft von Unternehmen und sonstigen Organisationen erhöhen. Durch die Beschleunigung der Arbeitsprozesse sind die Beschäftigten heute vermehrt mit dem Thema der Stressbewältigung konfrontiert. Neue Technologien der digitalen Kommunikation erhöhen ihre Verfügbarkeit. Erwerbs- und Privatleben lassen sich immer weniger gut trennen. Hinzu kommt, dass neue digitale kollaborative Arbeitsformen sozialstaatlich noch kaum reguliert sind. Aufgrund der Globalisierung und internationaler Konzerne besteht auch international Regelungsbedarf.

Mit «Industrie 4.0» oder auch «intelligenter Produktion» wird der dank dem Internet der Dinge möglich gewordene vierte Schritt der Industrialisierung bezeichnet, von dem grös­sere Umwälzungen in der Arbeitswelt erwartet werden. Es entspricht nicht nur einer alten Utopie, dass die Arbeit in Zukunft von Robotern verrichtet wird. Durch die heutigen technologischen Möglichkeiten wird diese allmählich Wirklichkeit. Damit ist für die Menschen jedoch nicht nur ein Freiheitsgewinn verbunden: Für einzelne Berufsgruppen werden die Chancen auf einen über den Markt vermittelten Erwerb dadurch sinken. Die bereits durch die Globalisierung angestossene Flexibilisierung von beruflichen Tätigkeiten und die rasche Veränderung von beruflichen Anforderungsprofilen werden nochmals stärker akzentuiert. Diese Entwicklung mündet nicht immer zwingend in einer noch stärkeren beruflichen Spezialisierung, sondern kann ebenso zur Bündelung bestehender Anforderungsprofile führen. Dass Arbeitsnachfrage und -angebot in Übereinstimmung kommen können, wird zum Spezialfall, was vor allem die Berufsbildung vor grosse Herausforderungen stellen wird, aber auch die Unternehmen auf ihrer Suche nach geeigneten Arbeitskräften. Diese Veränderungen wirken sich insbesondere für jene sozialpolitischen Einrichtungen aus, deren Finanzierung und Leistungen an Lohnarbeit gekoppelt sind. Eine von der Erwerbsarbeit losgelöste, möglicherweise zusätzliche Absicherung sozialer Risiken wie zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, wird stärker in den Fokus sozialpolitischer Diskussionen rücken als bisher.

Literaturhinweise

Bernet, B. & Tanner, J. (Hrsg.) (2015). Ausser Betrieb: Metamorphosen der Arbeit in der Schweiz. Zürich: Limmat-Verlag.

Boillat, V., Degen, B., Joris, E., Keller, S., Tanner, A. & Zimmermann, R. (Hrsg.) (2006). Vom Wert der Arbeit: Schweizer Gewerkschaften, Geschichte und Geschichten. Zürich: Limmat-Verlag.

Castel, R. (2000). Die Metamorphosen der sozialen Frage: Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK Universitätsverlag.

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