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Arbeitsschutz

Sabine Steiger-Sackmann


Erstveröffentlicht: December 2020

Aufgrund der Bundesverfassung kann der Bund Vorschriften über den Schutz von Arbeitnehmenden erlassen. Darunter wird die Abwehr von Gesundheitsgefahren, aber auch der Schutz der Persönlichkeitssphäre der Arbeitnehmenden verstanden. Mit dem UNO-Pakt I hat sich die Schweiz zu «gerechten und günstigen Arbeitsbedingungen» verpflichtet. Sie hat auch mehrere Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert. Die Unfallverhütung ist im Unfallversicherungsgesetz, die Prävention aller anderen Gesundheitsrisiken im Arbeitsgesetz geregelt. Das Gleichstellungsgesetz sieht besondere Rechtsansprüche bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und bei sexueller Belästigung vor. Gemäss Arbeitsvertragsrechts haben Arbeitnehmende einen vertraglichen Anspruch auf Schutz ihrer physischen und psychischen Integrität. Die Mindestdauer der Ferien ist ebenfalls im Obligationenrecht geregelt. Normal- und Gesamtarbeitsverträge können Mindestlöhne vorschreiben. Gesetzliche Vorschriften für minimale Löhne gibt es in der Schweiz bislang nicht.

Soziale Motive und der Schutz vor Gefahren für die Gesundheit standen schon im 19. Jh. hinter den Bemühungen, die täglichen Arbeitszeiten zu beschränken. Die gesetzlichen Arbeitszeitbegrenzungen der Kantone wurden 1877 durch das eidgenössische Fabrikgesetz abgelöst, das damals als fortschrittlichstes Arbeitsschutzgesetz auf dem europäischen Kontinent galt. Zentrale Anliegen des Fabrikgesetzes waren Regelung von Arbeits- und Ruhezeiten, Kinderschutz sowie Schutz vor Unfällen, Berufskrankheiten und Überbeanspruchung. Mit dem Arbeitsgesetz wurde 1966 dieser Schutz auf Arbeitnehmende in Handel und Gewerbe ausgedehnt. Im Zusammenhang mit der Anpassung an das Recht der Europäischen Union wurde 1993 der Geltungsbereich zentraler Gesundheitsschutzbestimmungen auf Angestellte der öffentlichen Verwaltung erweitert. Mit der Einführung einer obligatorischen Unfallversicherung wurden 1984 die Bestimmungen über die Unfallverhütung ins Unfallversicherungsgesetz «verlagert», was leider zu einem Dualismus im Vollzug führte.

Den Arbeitsschutzbestimmungen ist gemein­sam, dass die Arbeitgebenden die Verantwor­tung tragen, ihre Mitarbeitenden optimal vor Gefahren am Arbeitsplatz zu schützen. Sie müssen dafür sorgen, dass die Bestimmungen zu Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden. Arbeitgebende haben auch die Pflicht, alle erforderlichen und zumutbaren Massnahmen zu treffen, um schädliche oder lästige Einwirkungen am Arbeitsplatz auf die Gesundheit und Persönlichkeit der Mitarbeitenden zu verhindern. Die betriebliche Einrichtung und der Arbeitsablauf sind mit Blick auf Vermeidung von Gesundheitsgefährdung und Überbeanspruchung zu gestalten. Arbeitnehmende sind ihrerseits verpflichtet, die Arbeitgebenden dabei zu unterstützen und haben ein betriebliches Mitspracherecht in diesen Fragen. Das Unfallversicherungsgesetz und das Arbeits­gesetz regeln die Grundsätze von Unfallverhütung und Gesundheitsschutz. Alles Weitere wird auf Verordnungsstufe geregelt und durch Richtlinien und Wegleitungen konkretisiert. Damit sollen neue Erkenntnisse und wirksame Massnahmen rasch umgesetzt werden. Die Kontrolle obliegt der Suva und den Arbeits­inspektoraten. Aber auch die einzelnen Arbeitnehmenden können sich auf diese Bestimmungen berufen. Für Jugendliche sowie für Schwangere und stillende Mütter gelten besondere Arbeits- und Ruhezeitvorschriften. Zum Schutz des ungeborenen Kindes sind spezifische Massnahmen zu treffen. Ergänzend dazu regelt das Erwerbs­ersatzgesetz den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung während 14 Wochen nach der Geburt.

Der gesetzliche Mindestanspruch auf Ferien beträgt in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen vier Wochen bzw. fünf Wochen für unter 20-Jährige. Öffentlich-rechtliche Personalgesetze gehen zum Teil darüber hinaus.

Im Vergleich zum Recht der Europäischen Union fällt auf, dass in der Schweiz Gesundheitsprävention und Unfallverhütung in zwei Rechtsgrundlagen und zwei Vollzugsorganisationen auseinanderfallen. Dieses Problem versucht man durch Koordination zu entschärfen, aber eine stärkere Verknüpfung von health and security, wie international üblich, fehlt hierzulande. Unternehmen in der Europäischen Union sind verpflichtet, regelmässig alle Gefahren an ihren Arbeitsplätzen umfassend zu analysieren. Solche Gefährdungsbeurteilungen sind in der Schweiz nur für das Arbeitsumfeld werdender Mütter und zur Prävention von Unfällen und Berufskrankheiten in Betrieben mit hohem Gefährdungspotenzial vorgeschrieben, nicht aber eine systematische Ermittlung der sonstigen Risiken für die physische und psychische Gesundheit.

Im internationalen Kontext ist speziell, dass einzelne Bereiche des Arbeitsschutzes den Sozialpartnern überlassen werden. So sind seit 2016 Ausnahmen zur Erfassung und Dokumentation der Arbeitszeiten aufgrund entsprechender Vereinbarungen möglich. Die Schweizer Gesetzgebung zur Gesundheitsprävention ist wenig detailliert und enthält viele interpretationsbedürftige Grundsätze. Dies dürfte u. a. daran liegen, dass bereits im Vorgang zum eigentlichen Gesetzgebungsverfahren die Sozial­partner eingebunden werden, was Gesetzesrevisionen schwierig und schwerfällig macht.

Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmenden stehen immer in einem Spannungsverhältnis zur Wirtschaftsfreiheit, welche in der Schweiz ebenfalls auf Verfassungsebene gewährleistet ist. Dies kommt insbesondere in einer grossen Zurückhaltung gegenüber staatlichen Lohnvorschriften zum Ausdruck. Auch der Schutz vor Diskriminierungen im Erwerbsbereich beschränkt sich auf Geschlechterdiskriminierungen. Ein allgemeiner Schutz aufgrund anderer Diskriminierungs-Merkmale fehlt bislang, denn das Behindertengleichstellungsgesetz gilt einzig für das Personal der Bundesverwaltung. Für ausländische Beobachter kaum nachzuvollziehen ist, dass eine Erhöhung der minimalen Feriendauer in Volksabstimmungen schon mehrmals verworfen worden ist (letztmals 2012).

Ein wachsender Teil der beruflichen Tätigkeit zeichnet sich durch örtliche und zeitliche Flexibilität aus. Welchen Einfluss dies auf den Schutz der Arbeitnehmenden hat, wird noch wenig diskutiert. Auch in der Schweiz ist die Tendenz zu beobachten, dass Schutzbestimmungen als hinderlich empfunden und deswegen Arbeiten auf Freelancer verlagert werden. Allerdings ist die Rechtsprechung (noch) streng und toleriert Scheinselbstständigkeit weder zur Umgehung von arbeitsrechtlichen noch sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Aufgrund der Arbeitsmigration sollte der Schutz von Arbeitnehmenden in der Landwirtschaft und in privaten Haushalten verbessern werden, indem diese Arbeitsstellen dem Arbeitsgesetz unterstellt und stärker kontrolliert werden.

Alleroberste Führungspersonen eines Unternehmens unterstehen als Arbeitnehmende mit «höherer leitender Tätigkeit» nicht den Arbeitszeitvorschriften. Insbesondere von Dienst­-leistungsbetrieben wurde das Bedürfnis nach Ausnahmen für weitere Arbeitnehmende mit grosser Autonomie in der Arbeitsgestaltung angemeldet. Dies steht allerdings im Widerspruch zur Feststellung, dass eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmenden (auch in anspruchsvollen Positionen) zeitlich, physisch und insbesondere psychisch unter hohen Anforderungen am Arbeitsplatz leiden. Die finanziellen und sozialen Folgen von Unfällen und arbeits­bedingten Erkrankungen werden von den Sozialversicherungen, den Betroffenen und ihren Familien sowie der Allgemeinheit getragen. Daher ist es problematisch, den Arbeitsschutz abzubauen, ohne im Gegenzug das Verursacherprinzip zu stärken, indem Unternehmen sich stärker an den finanziellen Folgen mangelnder Prävention beteiligen ­müssen.

In Gesetzgebung und Rechtsprechung ist das Bewusstsein noch wenig ausgeprägt, dass Verletzungen der persönlichen Integrität am Arbeitsplatz (z. B. Mobbing, Diskriminierung wegen Alter, Herkunft, Religion) verhindert und sanktioniert werden müssen. Auch die Wirkung von gesetzlichen Lohnvorschriften wird sehr kontrovers wahrgenommen.

Literaturhinweise

Geiser, Th., Müller, R. & Pärli, K. (2019). Arbeitsrecht in der Schweiz (4. Aufl.). Bern: Stämpfli.

Steiger-Sackmann, S. (2013). Schutz vor psychischen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz: Rechtliche Möglichkeiten zur Verbesserung der Prävention. Zürich: Schulthess.

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