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Arbeitszeit

Sebastian Schief


Erstveröffentlicht: December 2020

Schweizer und EU-Richtlinien folgend, kann Arbeitszeit in einem engeren Sinne als jede Zeitspanne verstanden werden, während derer ArbeitnehmerInnen zur Vollstreckung von Tätigkeiten oder Aufgaben einem Arbeitgeber oder einer Arbeitgeberin zur Verfügung stehen. In einem weiteren Sinne lässt sich zwischen Erwerbsarbeitszeit und Zeit, die auf Haus- und Familienarbeit oder auch Freiwilligenarbeit verwendet wird, unterscheiden. Die erweitere Definition hat den Vorteil, dass die Beziehung zwischen den verschiedenen Sphären der Arbeit deutlich zum Vorschein tritt.

Erwerbsarbeit wird als Arbeitszeit gesetzlich sowie vertraglich geregelt. Arbeitszeitregelungen können in der Schweiz auf Branchen- und Unternehmensebene, aber auch individuell geschehen, so lange sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Lage (Tag, Nacht, Schicht usw.), Bedingungen (starr, Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit) und Länge der Arbeitszeit sind neben dem Lohn und den Arbeitsbedingungen zentrale Inhalte von Gesamtarbeitsverträgen.

Allgemein wird angenommen, dass die Arbeitszeit im Laufe der Jahrhunderte beständig abnahm. Tatsächlich wurde im Mittelalter aber deutlich weniger gearbeitet als zu Beginn der Industrialisierung. Dies hat zum einen mit den gegebenen technischen Bedingungen zu tun, war man doch z. B. auf Tageslicht angewiesen, zum anderen gab es ungleich mehr Feiertage. Zu Beginn der Industrialisierung stieg die Arbeitszeit in der Schweiz auf über 65 Stunden pro Woche an. Ausserhalb der zünftigen Wirtschaft war die Arbeitszeit weitgehend unreguliert. Die sich formierenden Arbeiterbewegungen setzten sich entsprechend für die Eindämmung überlanger Arbeitszeiten ein. 1877 wurde der 11-Stunden-Tag in das eidgenössische Fabrikgesetz eingeschrieben. Nach dem Landesstreik von November 1918 setzte sich in den nachfolgenden Jahren die 48-Stunden-Woche durch, so etwa 1920 im revidierten Fabrikgesetz und einigen anderen vertraglichen Regelungen. Weitere Schritte für eine Annäherung an die 40-Stunden-Woche erfolgten ab den 1930er Jahren, kamen dann aber in den 1970er Jahren wie in weiten Teilen Europas auch zum Erliegen. 1976 und 1988 wurden Volksinitiativen für kürzere Wochenarbeitszeiten, letztere mit Unterstützung der Gewerkschaften, an der Urne verworfen. Insgesamt stagniert seither die durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in der Schweiz bei etwa 42 Stunden pro Woche.

Während die allgemeine Verkürzung der Wochenarbeitszeit ins Stocken geriet, ist der Anteil der Teilzeitarbeit in der Schweiz und Europa kontinuierlich angestiegen. Die Schweiz hat im Vergleich zu Österreich und Deutschland über den Zeitraum 1995–2015 die höchsten Teilzeitquoten, sowohl insgesamt (2015: 26,8 %), als auch bei Männern (2015: 10,9 %) sowie Frauen (2015: 45 %). Betrachtet man die Veränderung über die Zeit, fällt diese für Männer in allen drei Ländern am deutlichsten aus, der Anteil der teilzeitbeschäftigen Männer in Deutschland (1995: 3,4 %; 2015: 9,3 %) und Österreich (3,1 %; 8,6 %) verdreifacht sich nahezu, während er in der Schweiz nur von 7,9 % im Jahr 1995 auf 10,9 % im Jahr 2015 ansteigt. Ähnliches lässt sich für die Teilzeitquote der Frauen attestieren. In der Schweiz verharrt dieser Anteil seit 20 Jahren bei etwa 45 %, während er in Österreich von 21,6 % im Jahr 1995 auf 35 % im Jahre 2015 angestiegen ist. In Deutschland sind die entsprechenden Zahlen 29,1 % und 37,4 %, wobei hier eine deutliche Abschwächung des Trends seit 2005 zu beobachten ist.

Formal gilt Teilzeitarbeit als (individuelle) Arbeitszeitverkürzung, aber die Bedingungen und sozialpolitischen Folgen sind deutlich andere als bei einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit. Die Sozialversicherungssysteme der Schweiz verbinden sich sehr stark mit einer ununterbrochenen Vollzeiterwerbstätigkeit über einen langen Zeitraum. Unterbrüche und Teilzeitarbeit führen zu Versorgungslücken, insbesondere in der Altersvorsorge. Zudem ist Teilzeitarbeit immer noch ein zumeist weibliches Phänomen und verstärkt somit die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt in Bezug auf Karrierechancen, Einkommen und Altersvorsorge. Schliesslich wird bei der individuellen Teilzeit der Aspekt der Produktivitätsverteilung zwischen Kapital und Arbeit völlig ausser Acht gelassen, d. h. die Reduktion des Einkommens folgt der Reduktion der ­Arbeitszeit.

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten lediglich Beamte Anspruch auf Ferien. Ab 1946 fanden sie zuerst auf kantonaler Ebene sowie in einigen Gesamtarbeitsverträgen Eingang in die Privatwirtschaft. In den 1950er Jahren waren zwei Wochen Ferien in der Schweiz die Regel. In den 1960er Jahren entwickelte sich ein Anspruch von drei Wochen, der in den Arbeitsverträgen selbst geregelt wurde. In den 1970er und 1980er Jahren wuchs dieser Anspruch auf vier beziehungsweise fünf Wochen. Im Obligationenrecht wurde 1983 ein Minimum von vier Wochen festgelegt (Jugendliche bis 20 Jahre fünf Wochen). Seitdem gab es zwei Versuche über eine Volksabstimmung eine fünfte Ferien­woche (1985) bzw. eine sechste Ferienwoche (2012) gesetzlich zu verankern. Beide Volksinitiativen scheiterten.

Vier zentrale Aspekte prägen gegenwärtig die Diskussion rund um die Arbeitszeit: Arbeitsleistung und Gesundheit, Flexibilisierung, Arbeitszeitverkürzung und Gleichstellung von Mann und Frau. Generell konnte ein Zusammenhang zwischen Produktivität der Arbeit und Länge der Arbeitszeit nachgewiesen werden. Lange Arbeitszeiten senken die Produktivität. Zudem haben so genannte unsoziale Arbeitszeiten (Nacht, Wochenende) Auswirkungen. Insbesondere dauerhafte Arbeit in Nachtschicht hat meist negative gesundheitliche und soziale Folgen für die Beschäftigten. Dies hängt aber auch von persönlichen Konstellationen der Beschäftigten ab.

Hinsichtlich der Flexibilisierung der Arbeits­zeit steht zur Debatte, inwiefern die Arbeitszeit den Bedürfnissen der Unternehmen und der ArbeitnehmerInnen angepasst werden kann. Entscheidend ist dabei die Frage, wer über Dauer und Lage der Arbeitszeit entscheiden kann. Ausserdem wird darüber diskutiert, wie die Arbeitszeit zu erfassen ist. Mit der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeit, insbesondere durch Arbeitszeitkonten, wird die Erfassung von Überzeit immer schwieriger. Am 1. Januar 2016 wurde im Arbeitsgesetz eine Veränderung vorgenommen, die Abweichungen von der detaillierten Arbeitszeiterfassungspflicht vorsieht. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine notwendige Flexibilisierung oder eine Aufweichung des Arbeitsschutzes handelt.

Die Arbeitszeitverkürzung schürt vor allem mit Blick auf das Ausland Diskussionen. Die durchschnittliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in der Schweiz ist im europäischen Vergleich ausserordentlich lang. Initiativen zur gesetzlichen Verkürzung dieser Arbeitszeit wurden, anders als in Frankreich, regelmässig vom Stimmvolk verworfen. Schliesslich fordert die Gleichstellung von Mann und Frau die Regulierung der Arbeitszeit heraus. Damit diesbezüglich Fortschritte im Erwerbsleben wie auch bei der Haus- und Familienarbeit zu erreichen sind, mehren sich die Forderungen zur Senkung der Erwerbsarbeitszeit. So würde etwa aus Sicht der BefürworterInnen einer Arbeitszeitverkürzung die 32-Stunden-Wochen insbesondere Männern die Möglichkeit bieten, sich im Sinne der Gleichstellung von Mann und Frau stärker in Haus- und Familienarbeit zu engagieren.

Literaturhinweise

Allmendinger, J., Haarbrücker, J. & Fliegner, F. (2013). Lebensentwürfe heute: Wie junge Frauen und Männer in Deutschland leben wollen. Kommentierte Ergebnisse der Befragung 2012 (Discussion Paper P 2013–002). Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Lehndorff, S. (2006). Sicherheit anbieten, Vielfalt ermöglichen: Über Krise und Reformen der Arbeitszeitregulierung. In S. Lehndorff (Hrsg.), Das Politische in der Arbeitspolitik: Ansatzpunkte für eine nachhaltige Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung (S. 157–194). Berlin: edition sigma.

Schempp, D., Schief, S. & Wagner, A. (2015). Determinants of detraditionalization of the division of house and family work in Swiss couple households. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 41(1), 33–57.

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