Wörterbuch durchsuchen

Ausserfamiliäre und ausserschulische Betreuung von Kindern

Annelyse Spack, Gil Meyer

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

In der Schweiz ist die ausserfamiliäre und ausserschulische Betreuung von Kindern auf allen Ebenen – sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder im Privatleben – ein wichtiges Thema. Dabei geht es primär darum, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in einer Situation sicherzustellen, die trotz bedeutender Anstrengungen von Angebotsknappheit geprägt ist. Zumal die Zahl der Mütter, die nach der Geburt ihres Kindes auf dem Arbeitsmarkt verbleiben müssen oder wollen, stetig zunimmt.

Die Festlegung einer Typologie der verschiedenen Betreuungsarten erweist sich als komplex, da eine Vielzahl von Bezeichnungen und Organisationsformen existieren. Unabhängig von ihrer Form sind solche Angebote zuweilen privat organisiert, meistens staatlich gefördert oder von öffentlichen Trägern erbracht. Neben der informellen Betreuung durch das Umfeld der Eltern wird im Allgemeinen zwischen drei reglementierten Betreuungsformen unterschieden. Dabei handelt es sich erstens um die Betreuung in Tagesfamilien, zweitens um die Betreuung in Gruppen (unter anderem in ausserschulischen Angeboten vor und nach dem Schulunterricht sowie in der Mittagszeit) und drittens um die Betreuung in vorschulischen Einrichtungen. Letztere unterscheiden sich durch ihr Leistungsangebot. Zum einen sind die Einrichtungen mit beschränkten Öffnungszeiten (Kindergarten, Spielgruppen) zu nennen und zum anderen jene Angebote, deren erweiterte Tages-, Wochen- und Jahresöffnungszeiten sich theoretisch nach den Arbeitszeiten der Eltern richten (Kindertagesstätten).

Die Zahl der anerkannten Pflegefamilien steigt unbestritten an. Wie jedes öffentliche Betreuungsangebot wird auch diese Betreuungsform durch eine Bundesverordnung geregelt, wobei in den jeweiligen Kantonen unterschiedliche Anerkennungsmodalitäten gelten. In den letzten Jahren wurden in verschiedenen Kantonen Koordinationsnetzwerke eingerichtet, um die Qualität der Unterbringung zu verbessern.

Der ausserschulische Sektor wird im Rahmen eines übergeordneten Programms – der Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule – weiterentwickelt, das unter anderem die Einrichtung von Tagesstrukturen vorsieht. Das Programm wurde 2006 per Volksabstimmung beschlossen und in einem Konkordat (HarmoS) festgeschrieben. Für die Umsetzung des Konkordats war die Zustimmung von mindestens zehn Kantonen erforderlich. Diese Voraussetzung wurde erfüllt. Was die Leistungen anbetrifft, schreibt das Konkordat indes kein einheitliches Modell für die gesamte Schweiz vor. So weichen zum Beispiel die Öffnungszeiten, die Preise und deren Berechnungsgrundlage (auf Basis des Familieneinkommens, der finanziellen Lage der Gemeinde usw.) sehr stark voneinander ab.

Wenngleich die Daten auf nationaler Ebene nicht genau dokumentiert sind und es diesbezüglich deutliche Unterschiede zwischen den Kantonen gibt, lässt sich sagen, dass die Zahl der Kindertagesstätten in den letzten 20 Jahren erheblich gestiegen ist. An diesem Anstieg ist der Bund nicht unbeteiligt. Ein Bundesgesetz, das 2003 zunächst befristet in Kraft getreten ist und regelmässig verlängert wird, zielt auf die vermehrte Einrichtung von Betreuungsplätzen ab. Neben diesem Impulsprogramm haben die Eidgenössischen Räte 2017 erhebliche Finanzmittel für Familien freigegeben und auch eine Erhöhung des steuerlichen Abzugs für Kinderbetreuungskosten in Aussicht gestellt. Ziel hiervon ist es, qualifizierte Frauen im Arbeitsmarkt zu halten.

Gleichwohl besteht im Bereich der Kinderbetreuung nach wie vor ein grosses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Die Angebotsknappheit betrifft die Familien direkt. Besonders gross ist der Mangel in der Kleinkinderbetreuung, wo sich proportional betrachtet mehr Erzieherinnen und Erzieher um die Kinder kümmern müssen. Hinzu kommt ein bisher vernachlässigtes Problem: die Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen und dementsprechend unregelmässigen Arbeitszeiten.

Die Betreuung von Kleinkindern unter guten Bedingungen hat ihren Preis, was Anlass zu lebhaften Debatten gibt. Die Finanzierung und die davon abhängigen direkten Kosten für die Nutzerinnen und Nutzer von Kindertagesstätten weisen in der Schweiz grosse Unterschiede auf – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip und dem Föderalismus. Seit einigen Jahren kommt insbesondere in der Westschweiz ein neues sogenannt tripartites Finanzierungsmodell zum Einsatz. Mehrere Kantone erproben die Beteiligung von Unternehmen. Letztere zahlen in einen gemeinsamen Fonds ein, in den auch die Beiträge des Kantons und/oder der Gemeinde sowie die Beitragszahlungen der Eltern einfliessen. Die Höhe der Elternbeiträge hängt in den meisten Fällen von der Finanzkraft der Familie ab.

Alle Kantone haben Gesetze erlassen, in denen die notwendigen Voraussetzungen für die Tagesbetreuung von Kindern festgelegt sind. Die zuständigen Stellen müssen eine Reihe von Empfehlungen und Normen ausarbeiten, um Sicherheit, Hygiene und Betreuungsqualität in den Einrichtungen zu gewährleisten. So gehören die Qualifikation des Personals, das zahlenmässige Verhältnis der betreuten Kinder zur Zahl der Erzieherinnen und Erziehern sowie der zur Verfügung stehende Platz zu den Kriterien, die bei der Zulassung und der Überwachung der Einrichtung durch die zuständigen Stellen überprüft werden.

Im internationalen Vergleich – etwa mit den Daten der OECD-Mitgliedstaaten – zeigt sich, dass die Anstrengungen der Schweizer Politik im Bereich der ausserfamiliären und ausserschulischen Kinderbetreuung unzureichend sind. Erschwerend kommt hinzu, dass es auf nationaler Ebene weder Richtlinien zur Ausbildung der mit der Betreuung (in Tages- und Pflegefamilien, ausserschulischen Einrichtungen und Kindertagesstätten) betrauten Personen noch Leitlinien gibt, von denen sich Qualitätsstandards ableiten liessen. Im Bereich der Kindertagesstätten koexistieren verschiedene, hierarchisch gegliederte Ausbildungsniveaus für das Erziehungspersonal, welche vom Bund grösstenteils anerkannt werden. Es liegt im Ermessen der Kantone, der Gemeinden oder sogar der einzelnen Einrichtungen, wie sie das betreffende Personal unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausbildungsniveaus rekrutieren. Des Weiteren definieren die Einrichtungen ihre pädagogische Linie meistens selbst, was ihnen natürlich einen bestimmten Handlungsspielraum eröffnet. So lässt sich aber kaum garantieren, dass landesweit dieselben Erziehungsgrundsätze und die gleichen Mittel zu ihrer Umsetzung angewandt werden.

Es gibt eine weitere Besonderheit, die aber nicht durch die Mehrsprachigkeit des Landes bedingt ist. Die Rede ist von den Namen zur Bezeichnung der verschiedenen Betreuungsformen, die jeweils ein bestimmtes Leistungsspektrum abdecken. Diese Bezeichnungen sind nicht im Rahmen einer einheitlichen Terminologie festgeschrieben, welche insbesondere für die Nutzerinnen und Nutzer mehr Klarheit schaffen könnte. Die Schwierigkeit, sich auf einheitliche Bezeichnungen der Betreuungseinrichtungen zu einigen, trägt nicht zu ihrer Akzeptanz bei, und diese bleibt im gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor fragil.

Die ausserfamiliäre und ausserschulische Betreuung von Kindern steht mittlerweile in verschiedener Hinsicht auf der politischen Agenda, und es gilt, eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. Hierzu zählen die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, die Kosten für die Gemeinden und die Nutzerinnen und Nutzer sowie die Ausbildung des Erziehungspersonals. Die Kindertagesstätten verfolgen nach wie vor das Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Allerdings stellt sich heute die Frage, inwieweit ein universeller Zugang zu diesen Einrichtungen gegeben ist bzw. gegeben sein soll. Sollten nicht alle Kinder und Familien ein Zugangsrecht zu Kindertagesstätten erhalten – insbesondere mit dem Ziel der besseren Integration der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen?

Des Weiteren steht die Betreuungsqualität auf der Tagesordnung – ein Thema, dem sich auch die Schweizerische UNESCO-Kommission angenommen hat. Sie hat zur Ausarbeitung eines Orientierungsrahmens beigetragen, der momentan mit den zahlreichen im Kleinkinderbereich tätigen Akteuren erörtert wird. Inzwischen zeichnet sich ein «Paradigmenwechsel» ab: Es ist unbedingt anzuerkennen, dass diese Einrichtungen neben ihrer traditionellen Betreuungsrolle eine entscheidende Erziehungs- und Bildungsfunktion übernehmen – und zwar sowohl für die Kinder als auch für ihre Eltern. Sie stellen einen Mikrokosmos dar, in dem sich die Vielfalt familiärer Situationen widerspiegelt. Dies unterstreicht die sozialpädagogische Mission, die diese Einrichtungen erfüllen müssen. Vor diesem Hintergrund ist die berufliche Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher von entscheidender Bedeutung.

Literaturhinweise

Meyer, G., Spack, A., Perrenoud, D. & Dumont, P. (2009). Familles singulières, accueil collectif. Lausanne: Editions EESP.

Stamm, M. (2009). Frühkindliche Bildung in der Schweiz: Eine Grundlagenstudie im Auftrag der UNESCO-Kommission Schweiz. Fribourg: Universität Fribourg.

Wustmann Seiler, C. & Simoni, H. (2016). Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz (3., erw. Aufl.). Bern: Schweizerische UNESCO-Kommission.

nach oben