Bildungsfinanzierung (Ausbildungsbeiträge, Stipendien)
Bildung geniesst in der Schweiz einen hohen Stellenwert und die politische Zielsetzung eines möglichst gleichberechtigten Zugangs zu Bildung ist nicht nur eine wichtige bildungspolitische Forderung, sondern geradezu ein Grundwert des demokratischen Gemeinwesens. Um den Zugang zu höherer Bildung auch Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus einkommensschwachen Familien zu ermöglichen, können die Kantone Ausbildungsbeiträge in Form von Stipendien oder Darlehen an Lernende und Studierende vergeben.
Die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen ist Teil der Bildungspolitik von Bund und Kantonen. Sie ist eine bedarfsabhängige Leistung, die der Verringerung der sozialen Ungleichheit im Bildungswesen dient. Zudem sollen Ausbildungsbeiträge auch die optimale Ausschöpfung des Bildungspotenzials des einzelnen Individuums sowie der Gesellschaft insgesamt fördern helfen.
Die Bedingungen zur Vergabe bestimmen die Kantone grundsätzlich souverän. Allerdings wird mit der Interkantonalen Vereinbarung zur Harmonisierung von Ausbildungsbeiträgen durch die Verankerung wichtiger Grundsätze und einiger Mindestnormen seit 2013 eine Annäherung der sehr unterschiedlichen Vergabepraxen der Kantone erreicht. Ausbildungsbeiträge existieren in Form von Stipendien oder Darlehen. Stipendien sind einmalige oder wiederkehrende, nicht rückerstattungspflichtige Leistungen, Darlehen sind ebenfalls einmalige oder wiederkehrende, jedoch rückerstattungspflichtige und zu verzinsende Leistungen. Ausbildungsbeiträge werden erst ab Ende der obligatorischen Schulzeit entrichtet, und zwar für Erstausbildungen (weiterführende Schulen, Berufslehre, Fachhochschule oder Universität/ETH) und auf diese aufbauende Weiterbildungen. Für die Förderung einer Zweitausbildung besteht in manchen Kantonen kein Rechtsanspruch oder es werden lediglich Darlehen vergeben. Das Stipendienwesen in der Schweiz ist ein elternabhängiges System (wie in Deutschland, Frankreich oder Österreich). Es gilt das Subsidiaritätsprinzip; der Staat stellt nur dann Gelder zur Verfügung, wenn eigene Mittel sowie Unterstützungszahlungen der Eltern und anderer Angehöriger nicht ausreichen. In der Regel werden die Beiträge für die Dauer eines Ausbildungsjahres zugesprochen und bei Bedarf jährlich überprüft und erneuert.
Einen Anspruch auf Ausbildungsbeiträge können in der Regel Personen geltend machen, die noch keinen Berufs- oder Studienabschluss erreicht haben und die ihren stipendienrechtlichen Wohnsitz in einem der 26 Kantone haben. Für Ausländerinnen und Ausländer besteht ein Anspruch, wenn sie selbst oder ihre Eltern über eine Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) verfügen oder seit fünf Jahren in der Schweiz aufenthaltsberechtigt sind und eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) verfügen. Ebenfalls einen Anspruch besitzen anerkannte Flüchtlinge. Massgebend für einen Stipendienanspruch sind die finanziellen Verhältnisse (Kriterium der Bedürftigkeit) der antragstellenden Person bzw. deren Familie, also sowohl die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Steuerveranlagung) wie auch die Situation der Familie insgesamt (z. B. Familienform, Anzahl Personen, Zivilstand usw.). Die Höhe der Beiträge hängt von der familiären Konstellation und der Situation der antragstellenden Person ab, wobei in den meisten Kantonen Mindest- und Maximalbeiträge festgelegt sind, abgestuft nach Art der Ausbildung und persönlicher Situation.
Das schweizerische Bildungswesen wird zu grossen Teilen mit staatlichen Mitteln finanziert. Im internationalen Vergleich über alle Bildungsstufen betrachtet, befindet sich die Schweiz in der Gruppe der Länder mit den höchsten Bildungsausgaben pro Person in Ausbildung. Das schweizerische Stipendienwesen der öffentlichen Hand kennt zwei Hauptakteure: den Bund und die Kantone. Daneben agieren auch zahlreiche private Stiftungen und Fonds in der Ausbildungsförderung.
Die kantonalen Stipendien und Darlehen sowie die Beiträge des Bundes sind Teil der öffentlichen Bildungsausgaben. Von den 300 bis 350 Mio. Franken, welche Kantone und Bund in den letzten zwanzig Jahren jährlich aufgewendet haben, wurden über 90 % in Form von Stipendien ausbezahlt. Dies entspricht ungefähr 1 % der gesamten öffentlichen Bildungsaufgaben.
Seit sich das finanzielle Engagement des Bundes mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA) im Jahre 2008 deutlich verringert hat, werden die Kosten für die Stipendien in erster Linie (zu über 90 %) von den Kantonen getragen. Der Bund beschränkt sich auf die Subventionierung der Stipendien im Tertiärbereich und verzichtet auf die Unterstützung im Rahmen der Sekundarstufe II (nachobligatorische Schulen und Berufsbildung). Der Bundesbeitrag in Höhe von lediglich CHF 25 Mio. wird seit Einführung der NFA neu pauschal nach Einwohnerzahl vergeben, vorher erfolgte die Vergabe nach Aufwand.
Die formelle und materielle Harmonisierung der sehr heterogen ausgestalteten kantonalen Stipendiensysteme ist seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 19. März 1965 über die Gewährung von Beiträgen an die Aufwendungen der Kantone ein wichtiges Thema. Das Bundesgesetz von 1965 kann als Geburtsstunde des modernen staatlichen Stipendienwesens auf nationaler Ebene bezeichnet werden. Das Gesetz bewirkte in den Kantonen einen Innovationsschub, sodass seit den späten 1960er Jahren in allen Kantonen Stipendienstellen mit eigenen gesetzlichen Grundlagen entstanden, die in der Regel dem kantonalen Bildungsdepartement zugeordnet sind. Dies steht nicht im Widerspruch zum Sachverhalt, dass vor allem in einigen Hochschulkantonen schon viele Jahre vor diesem Subventionsgesetz relativ leistungsfähige staatliche Stipendienwesen existiert haben (z. B. Basel-Stadt, Bern, Genf oder Zürich).
Im Jahre 1966 konstituierte sich die Interkantonale Stipendienbearbeiter-Konferenz (ab 2001 Interkantonale Stipendien-Konferenz), in der die Stipendienverantwortlichen der Kantone den Austausch und die Harmonisierung der Ausbildungsförderung pflegen. Die langjährige Arbeit dieser Fachkonferenz führte 2013 schliesslich zum historischen Durchbruch im Bereich der Stipendienharmonisierung, als von der EDK ein interkantonales Konkordat verabschiedet wurde.
Seit dem 1. März 2013 findet die interkantonale Zusammenarbeit im Stipendienwesen auf der Grundlage einer interkantonalen Vereinbarung (Stipendienkonkordat) statt, der bereits 18 Kantone, die gegen 90 % der Wohnbevölkerung repräsentieren, beigetreten sind. Die Vereinbarungskantone haben Mindestnormen und Grundsätze für die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen festgelegt. Eine Geschäftsstelle bei der EDK koordiniert und leitet die Vollzugsarbeiten. Mit dem Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes per 1. Januar 2016 erfolgt eine Stärkung des Konkordats, weil wichtige Konkordatsvorgaben neu als Subventionsvoraussetzung gelten.
Die Situierung des schweizerischen Stipendienwesens im internationalen Kontext gestaltet sich schwierig, da die Besonderheiten der nationalen Bildungssysteme insgesamt sehr ausgeprägt sind. Wirklich vergleichbar sind letztlich nur ebenfalls elternabhängige Stipendiensysteme, eingebettet in ein Bildungssystem, das auch die duale Berufsbildung kennt (wie bspw. Deutschland und Österreich). Dabei kann letztlich nicht das Finanzvolumen an ausbezahlten Stipendien oder die Stipendienquote für den Erfolg eines nationalen Bildungssystems als schlüssiger Indikator herbeigezogen werden, sondern letztlich allein die Qualität und der Erfolg des Gesamtsystems. In dieser Beziehung erbringt das schweizerische Bildungssystem bezüglich Qualität und hohe nachobligatorische Abschlussquote (mindestens Sek. II Abschluss: 95 %) zweifellos ausgezeichnete Leistungen. Allerdings bleibt für den Bildungserfolg des Individuums trotz aller bildungspolitischer Bemühungen der letzten Jahrzehnte auch heute noch die soziale Herkunft der mit Abstand wichtigste Faktor. Kriterien wie Nationalität, Konfession, Wohnort und Geschlecht spielen für die Höhe des erreichten Bildungsabschlusses auch eine Rolle, sind jedoch gegenüber dem elterlichen Status von untergeordneter Bedeutung. Die relative Öffnung des Bildungssystems und die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte haben nicht automatisch zu mehr Chancengerechtigkeit geführt; sie haben die Selektionsschwellen einfach auf eine höhere Stufe verschoben. Durch die Verbreiterung des Zugangs zu höheren Bildungsgängen verlieren deren Abschlüsse zwar an Exklusivität (Beispiel: steigende Maturitätsquoten), trotzdem bleiben die herkunftsspezifischen Benachteiligungen in Bezug auf den Bildungserfolg weitgehend erhalten.
Literaturhinweise
Arbogast, O., Mühlemann, K., Schöbi, N., Zangger, P. & Bundesamt für Statistik (2017). Kantonale Stipendien und Darlehen 2016. Neuenburg: Bundesamt für Statistik.
Schweizer Medieninstitut für Bildung und Kultur Genossenschaft mandatiert von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (Hrsg.) (o. J.). Stipendien. www.stipendien.educa.ch.
Stirnimann, C. (2010). Vom Sputnik-Schock zum Stipendienkonkordat: Anmerkungen zur schweizerischen Politik der Ausbildungsförderung. Basel: Historisches Seminar der Universität Basel.