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Care Work / Sorgearbeit

Ulrike Knobloch


Erstveröffentlicht: December 2020

Mit Care Work / Sorgearbeit werden die Betreuungsarbeit für Kinder, die Pflegearbeit für kranke, behinderte und betagte Menschen sowie alle anderen sorgenden Tätigkeiten bezeichnet, auf die Menschen zumindest zu bestimmten Zeiten in ihrem Leben angewiesen sind. In der Fachliteratur wird der Begriff Care Work, der im Folgenden mit Sorgearbeit synonym verwendet wird, unterschiedlich weit gefasst. Ein enger Begriff der Sorgearbeit, wie er dem Bericht des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung (EBG) von 2010 zugrunde liegt, umfasst zum einen direkte Sorgetätigkeiten wie das Waschen und Anziehen von Menschen, die das nicht selbst tun können, zum anderen indirekte Sorgetätigkeiten wie das Beaufsichtigen zu umsorgender Personen und zudem unterstützende Tätigkeiten wie Kochen und Putzen. Weiter wird Sorgearbeit gefasst, wenn darüber hinaus bezahlte und unbezahlte Sorgetätigkeiten für Erwachsene, die auch für sich selbst sorgen könnten, und die Selbstsorge einbezogen werden. Jede Form der Sorgearbeit ist durch eine Reihe besonderer Merkmale geprägt, die sie von Nicht-Sorgearbeit unterscheidet; das sind vor allem Personenbezogenheit, Lebensnotwendigkeit, Verantwortung für das direkte körperliche und seelische Wohlbefinden von Menschen, eine besondere Logik und Motivation sowie häufig Asymmetrie und Machtgefälle zwischen den Sorgearbeit leistenden und empfangenden Personen.

Bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit ist immer eingebettet in einen politischen und gesellschaftlichen Rahmen, der als Sorgesystem bezeichnet werden kann. In jedem Sorgesystem lassen sich vier Sektoren (mit den dazu gehörenden Institutionen) unterscheiden, in denen Sorgearbeit geleistet wird: öffentlicher Sektor (Staat), Marktsektor (Unternehmen), Dritter Sektor (Non-Profit-Organisationen) und Haushaltssektor (private Haushalte). Ausgehend von der Situation in der Schweiz werden im Folgenden die beiden wesentlichen Bausteine des Sorgesystems, nämlich das Betreuungs- und das Pflegesystem skizziert.

Im Betreuungssystem wird die meiste Sorgearbeit für Kinder unbezahlt in privaten Haushalten geleistet, zum grossen Teil von den Eltern unter Mithilfe der Grosseltern und anderen Verwandten, Freunden, Nachbarn und Bekannten – gelegentlich unterstützt durch bezahlte Tagesmütter/-väter, BabysitterInnen, Au-pairs u. a. Zur bezahlten Betreuungsarbeit gehört vor allem die familienexterne Kinderbetreuung in den drei Sektoren jenseits des Haushaltssektors. Das vielfältige Betreuungsangebot für Kinder von 0–3 Jahren und von 3–6 Jahren sowie für Schulkinder umfasst Kindertagesstätten, Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen, Ganztagsschulen, Schulhorte oder andere schulergänzende Betreuung, Internate, Kinderheime, Hausarbeiten- und Ferienbetreuung usw. – gelegentlich unterstützt durch unbezahlte Freiwilligenarbeit.

Im Pflegesystem wird auch heute noch ein grosser Teil der Pflegearbeit für kranke, behinderte und betagte Menschen unbezahlt von den Partnerinnen und Partnern, erwachsenen Kindern (mehrheitlich Töchtern oder Schwiegertöchtern), anderen Verwandten, Freunden und Bekannten übernommen. Bezahlte Sorgearbeit im Pflegesystem wird in Krankenhäusern und Pflegeheimen geleistet, die mehr und mehr als private Unternehmen geführt werden, so dass Konkurrenzdruck und Effizienzdenken auch im Sorgebereich immer stärker werden. Zudem ergänzen in vielen Pflegeeinrichtungen Freiwillige das bezahlte Betreuungsangebot. Die Organisationen der spitalexternen Gesundheitsversorgung (Spitex), die zum überwiegenden Teil gemeinnützig organisiert sind, übernehmen die pflegerische Versorgung zu Hause. Für diejenigen, die es sich leisten können, wird zusätzlich zu den Spitexleistungen eine Vielfalt bezahlter Dienstleistungen angeboten, z. B. Haushaltshilfen, Tagesbetreuung, Bewegungstraining usw., deren Organisation und Koordination in der Regel aber wiederum unbezahlt erfolgt.

Wie die Betreuungs- und Pflegesysteme und das Angebot anderer Sorgeleistungen ausgestaltet und finanziert werden, sind politische Entscheidungen, denen gesellschaftliche (Geschlechter-)Normen zugrunde liegen. Jede Gesellschaft muss sich die Frage stellen, wer die notwendige Sorgearbeit leistet und welche Sorgearbeit bezahlt und welche unbezahlt geleistet werden soll. Dabei ist eine Reihe von sozialökonomischen Herausforderungen zu bewältigen, von denen im Folgenden einige genannt werden.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Männer haben in den vergangenen Jahren zwar mehr Sorgearbeit, insbesondere bei der Kinder­betreu­ung übernommen. Dennoch ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei der bezahlten und auch bei der unbezahlten Sorgearbeit weiterhin gross. Denn der überwiegende Teil wird von Frauen erbracht mit erheblichen finanziellen Nachteilen – ein Leben lang. Geschlechtergerechte Lösungsansätze streben eine gesellschaftliche Aufgabenverteilung an, die Ungerechtigkeiten in Bezug auf Geschlecht, Schicht und Herkunft weder verschärft noch verfestigt, sondern diesen entgegenwirkt.

Soziale Absicherung und Anrechnung: Sorgearbeit, vor allem wenn sie unbezahlt geleistet wird, ist kaum sozial abgesichert (informelle Sorgearbeit). Zwar werden seit der 10. AHV-Revision (1997) die Jahre der Erziehung von Kindern und der Betreuung von pflegebedürftigen Erwachsenen bei der Berechnung der Höhe der AHV-Rente einbezogen, die finanziellen Nachteile damit aber nicht ausgeglichen. Eine ganz andere Möglichkeit der Anrechnung wären Zeitgutschriften für Begleitung und Betreuung, die später bei Bedarf selbst in Anspruch genommen werden können (Pilotprojekte: Stadt St. Gallen und Verein KISS).

Finanzierung von Sorgearbeit: Wo öffentliche Gelder gekürzt und sozialstaatliche Leistungen abgebaut und privatisiert werden, wird vorher bezahlte Sorgearbeit oft (zurück) in die privaten Haushalte verlagert. Dadurch können sich soziale Ungleichheiten verschärfen, denn während diejenigen, die es sich leisten können, Pflegekräfte und Haushaltshilfen beschäftigen, müssen sich Haushalte mit geringem Einkommen auf unterfinanzierte öffentliche Dienstleistungen oder überbeanspruchte familiäre Netzwerke verlassen.

Intensive Langzeitpflege und Care-Migration: Da die meisten Menschen im Alter möglichst lange zu Hause bleiben wollen, nimmt die Nachfrage nach Langzeitpflege und 24-Stunden-Betreuung zu. Wenn diese intensive Sorgearbeit nicht mehr unbezahlt geleistet werden kann und/oder die Spitex-Leistungen nicht ausreichen, entsteht vor allem in der intensiven Langzeitpflege eine Versorgungslücke. Insbesondere für diese Pflege werden Frauen aus Niedriglohnländern angeworben, also vor allem aus Osteuropa, Südamerika und Asien. Diese individuellen Lösungen sind allerdings wenig zukunftsfähig, da sie die globale Dimension der Sorgekrise vernachlässigen, denn auch in den Heimatländern der Care-Migrantinnen bestehen Versorgungslücken.

Sorgebereich als Wachstumsbranche: Die Beschäftigtenzahl im Sorgebereich ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Doch wenn unbezahlte Sorgearbeit in die bezahlten Bereiche verlagert wird (Kommodifizierung), steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP), ohne dass das Leistungsvolumen zunimmt (Pseudo-Wachstum). Zudem lässt sich die Produktivität der Sorgearbeit kaum erhöhen, ohne dass die Qualität leidet. Daher sind der Rationalisierung im Sorgebereich im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen enge Grenzen gesetzt.

Sorgebewegung: Care-Manifeste, Aufrufe zur Care-Revolution, Streiks im Sorgebereich und vieles mehr deuten darauf hin, dass eine weltweite Sorgebewegung in Gang kommt, die das Ziel hat, auf Sorgedefizite und Sorgekrisen, die oft schlechten Arbeitsbedingungen, geringe Bezahlung und unzureichende soziale Absicherung aufmerksam zu machen und dringend notwendige Verbesserungen einzufordern.

Literaturhinweise

Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (Hrsg.) (2010). Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit. Impulse aus Sicht der Gleichstellung. Bern: Schweizerische Eidgenossenschaft.

Care-Ökonomie. Neue Landschaften von feministischen Analysen und Debatten (2009). Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik [Themenheft], 30, 5–126.

Razavi, S. & Staab, S. (Hrsg.) (2012). Global variations in the political and social economy of care: worlds apart. London: Routledge.

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