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Familienrecht

Monika Pfaffinger


Erstveröffentlicht: December 2020

Das Familienrecht wird als Teilgebiet des Privat- respektive Zivilrechts umschrieben. Es legt dabei die Normen fest, welche Entstehung, Änderung und Beendigung sowie Inhalte von Rechtsverhältnissen zwischen Menschen regeln, die durch Ehe, Lebenspartnerschaft, Familie und Verwandtschaft in Verbindung stehen. In der Schweiz ist es der zweite Teil des Zivilgesetzbuches (ZGB), der den Titel «Familienrecht» trägt. Seine erste Abteilung regelt das Eherecht, die zweite die Verwandtschaft (inkl. Kindesrecht und -schutz) und die dritte das Erwachsenenschutzrecht. Klassische Definitionen des Familienrechts sind entsprechend institutionell gefärbt; im internationalen Vergleich prägt die Anknüpfung am formellen Kriterium einer Ehe zwischen Mann und Frau das Schweizer Familienrecht (binärer Geschlechtscode; Statusbasierung). Die nicht-eheliche Gemeinschaft heterosexueller Paare und ihrer Kinder ist dagegen nur rudimentär geregelt, derweil das Recht gleichgeschlechtlicher Partnerschaft im Partnerschaftsgesetz ausgelagert ist. Folglich handelt es sich beim Schweizer Familienrecht auch heute primär um die Verfassung der ehelichen Familie mit binärer Geschlechterordnung. Der soziale Wandel bleibt mithin unbeachtet, was mit Blick auf neue, rechtlich nicht erfasste Lebenssituationen problematisch ist.

Das Familienrecht wird von sich wandelnden, ausserrechtlichen Faktoren beeinflusst – und vice versa. Faktische Pluralisierungstendenzen werden von biotechnologischen Möglichkeiten (Gentests, Fortpflanzungsmedizin), geänderten Bildungsrealitäten, Wirtschaft (Fach­kräftemangel), Migrationsbewegungen sowie aufgrund neuer Familienkonstellationen wie z. B. Patchwork-Familien angestossen. Ausserdem sind Familienbelange Gegenstand zahlreicher Rechtsgebiete: innerhalb des Privatrechts insbesondere des Erb- und Personenrechts, angrenzend das Fortpflanzungsmedizingesetz, Arbeits-, Steuer- sowie das Sozialhilfe-, Sozialversicherungs- und Migrationsrecht. Entsprechend multiplizieren sich die wechselseitig wirkenden Einflussfaktoren im Spannungsverhältnis zwischen gelebten Familienrealitäten und einem statusbasierten Rechtsverständnis.

Problematisch sind in diesem Kontext noch heute Restbestände direkt diskriminierender Regeln, faktische Ungleichheit verursachende Normen, Regelkonzepte, die Geschlechter­stereotypien verhaftet sind, vernachlässigte interkulturelle Bezüge, eine von Rollenbildern geprägte oder Fakten unzureichend berücksichtigende Praxis, aber auch der schwache infrastrukturelle Rahmen für Familien in der Schweiz («Familie ist privat»). Sie sind Ausdruck und Folge des Familienideals der ehelichen Einheitsfamilie.

Aus sozialpolitischer Warte sieht das Schweizer Familienrecht Säulen des Ausgleichs für in Familien erbrachte Leistungen unter (partiellem) Verlust der Eigenversorgung konzeptionell umfassend nur für die eheliche Familie vor. Von Bedeutung sind namentlich die Instrumente des (nachehelichen) Unterhaltsrechts, des Güterrechts und des Vorsorgeausgleichs. Der Unterhalt befasst sich mit dem gesamten Lebensbedarf einer Familie und ihrer Mitglieder. Kategorisiert werden Unterhaltspflichten und -ansprüche, Unterhalt in Gestalt von Geldleistung (Barunterhalt) und Naturalleistung (Betreuung sowie Haushaltsführung), ehelicher resp. nachehelicher Unterhalt und Kindesunterhalt. Das Unterhaltsrecht wird von verschiedenen Prinzipien beherrscht, der Unterhalt anhand verschiedener Methoden berechnet. Das Güterrecht befasst sich mit den Wirkungen der Ehe auf das Vermögen der Ehepartner und entsprechenden Ansprüchen auf vorhandene resp. während der Ehe erlangte Vermögensbestandteile. Der Vorsorgeausgleich gewährleistet einen eigenständigen Anspruch auf den bedeutsamen Vermögenswert der Ersparnisse in der 2. Säule.

Allerdings zeigen sich innerhalb der rechtlich erfassten Bereiche Defizite. Ein angemessener Mindestunterhalt für Kinder (beispielsweise in der Höhe einer einfachen maximalen Waisenrente) fehlt und unterhaltsrechtliche Argumente werden oft inkongruent eingesetzt. Spricht man vom «Unterhalt», meint man damit oft den «Barunterhalt», während der Naturalunterhalt ungenügend beachtet wird. Grundrechtlich nicht haltbar ist die einseitige Mankozuweisung. Beim Manko geht es um den Fehlbetrag, der sich aus der Differenz der verfügbaren Mittel und des Gesamtbedarfs ergibt. Bei der einseitigen Mankozuweisung wird der Fehlbetrag der barunterhaltsberechtigten Person aufgebürdet (in der Regel der betreuenden Person, statistisch der Frau, ggf. mit folgender Sozialhilfe- und Armutsbetroffenheit), während dem Barunterhaltspflichtigen das Existenzminimum belassen wird (in der Regel der erwerbstätigen Person). Gefordert wird die sogenannte Mankoteilung. Mit Blick auf die soziale Sicherheit problematisch ist sodann das Abweichen von einer hälftigen Teilung der Vorsorgegelder, aber auch die Mutterzentriertheit des Kindesrechts.

Ein Familienrecht, das sich an einem exklusiven Familienmodell orientiert, riskiert, an Leitideen (insbesondere Kindeswohl, Wahl­freiheit, Egalität) sowie Realitäten vorbei zu regeln. Familiäre Verantwortung wird in mannigfachen Arrangements wahrgenommen. Mit der Fokussierung auf den Ehestatus wird faktisch geleistete Care-Arbeit und gelebte familiäre Verantwortung inner- aber auch ausserhalb des Familienrechts unzulänglich adressiert. Brisant ist dies namentlich infolge des fehlenden Regelungskonzepts für die nichteheliche Gemeinschaft. Zwar wird das Leitbild der ehelichen Einheitsfamilie auch rechtlich erodiert: die gemeinsame elterliche Sorge greift neu als Regel nach Scheidung, nicht aber von Gesetzes wegen in der nicht-ehelichen Gemeinschaft; seit dem 1.1.2017 sieht das ZGB für das Kind in nicht-ehelicher Gemeinschaft einen Betreuungsunterhalt vor: Das Kind hat damit einen Unterhaltsanspruch, der auch die Kosten der Betreuung durch einen Elternteil beinhaltet; zum Wohl des Kindes soll die geteilte Obhut geprüft werden (Wechselmodell), womit man nach elterlicher Trennung die Beziehung des Kindes zu beiden Eltern stabilisieren will; der Zugang und Austausch von Informationen (insbesondere genetische Abstammung; neues Informationssystem im Adoptionsdreieck) gewinnt Anerkennung, womit die Relevanz verschiedener familiärer Systeme anerkannt wird; die Stiefkindadoption soll neu auch in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft möglich sein; Wahlfreiheiten werden ausgebaut (illustrativ: Namensrechtsrevision). Der sich vollziehende faktische Wandel familiäre Verhältnisse wirkt sich somit auf das materielle Recht aus, allerdings bloss punktuell. Sodann sollte der Dynamik von Beziehungen und Lebensphasen durch die spezifische Gestaltung von (behördlichen) Verfahren und Institutionen (insbesondere Einsetzung von Familiengerichten und Sprach- und Kulturvermittlung), aber auch dem Ausbau struktureller Rahmenbedingungen besser Rechnung getragen werden.

Die Abkehr vom Schutz der ehelichen Einheitsfamilie (Institutionenschutz) löst die strikte Trennung von Wirtschaft und Familie auf. Familiäre Leistungen sind weder rein privat noch rein ideell, sondern Garant von Solidarität und Wirtschaftlichkeit. Sie sind für die gesamte Gesellschaft unverzichtbar. Erbracht werden familiäre Leistungen in einem weiten Spektrum von Arrangements, wobei sich familiäre Beziehungen stetig wandeln. Zur Definition von Familien(-recht) kann folglich ein relationaler Ansatz produktiv sein: Im Familienrecht geht es um den Schutz der Beziehung selbst (wohingegen andere Rechtsbeziehungen Mittel zur Erfüllung anderer Zwecke sind). Gegenstand des Familienrechts ist die (V-)Erfassung zwischenmenschlicher Beziehungen eigener Art mit besonderen Fürsorgepflichten und Verantwortlichkeiten.

Literaturhinweise

Beiträge des Symposiums Avenir Familles vom 24. Juni 2014 an der Universität Fribourg (2014). FAMPRA.ch. Die Praxis des Familienrechts, 4, 779–1008.

Pfaffinger, M. & Hofstetter, D. (2015). Umsetzung von Art. 16 in der Schweiz. In E. Schläppi, S. Ulrich & J. Wyttenbach (Hrsg.), CEDAW: Kommentar zum UNO-Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (S. 1211–1250). Bern: Stämpfli.

Schwenzer, I. (1987). Vom Status zur Realbeziehung: Familienrecht im Wandel. Baden-Baden: Nomos.

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