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Familienzulage

Béatrice Despland

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Unterstützung für Familien gibt es in vielerlei Formen: Geldleistungen (Familienzulagen, Ausbildungszulagen) etwa werden ausgerichtet, um finanzielle Mehrbelastungen auszugleichen oder bestimmte Ausgaben im Zaum zu halten (Prämienverbilligung oder Mietzuschüsse), weitere Unterstützungsleistungen umfassen den Aufbau von Infrastrukturen für Familien, so etwa Krippenplätze oder schulergänzende Betreuungseinrichtungen. Unter diesen Leistungen nehmen die Familienzulagen einen besonderen Platz ein. Ihre Geschichte ist eng mit dem Ersten Weltkrieg verbunden; ihren Ursprung haben die Familienzulagen in der Anerkennung der finanziellen Mehr­belastung, die mit der Geburt eines Kindes einhergeht. Um diese Mehrbelastung teilweise auszugleichen, richtete der Bund seinen Angestellten eine Teuerungszulage aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ersten diesbezüglichen kantonalen Gesetze verabschiedet. Die Verankerung der Familienzulagen in der Bundesverfassung im Jahr 1945 ebnete 1952 den Weg für die landesweite Einführung von Familienzulagen, wenn auch vorläufig nur für in der Landwirtschaft tätige Personen (Lohn­empfängerInnen, selbstständige Landwirte und ÄlplerInnen). Da der Bund seine Kompetenzen nicht voll ausschöpfte, hatten die Kantone bei der Entwicklung ihrer eigenen Gesetze volle Handlungsfreiheit, die sie unter Berücksichtigung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten auch nutzten. Im Laufe der Zeit wurde der Geltungsbereich der kantonalen Familienzulagengesetze auf die übrigen Arbeitnehmenden ausgedehnt, nicht aber auf Selbstständigerwerbende und weniger noch auf Nichterwerbstätige. Intransparenz und Ungleichbehandlung waren denn auch nur zwei der zahlreichen, immer wieder geäusserten Kritikpunkte am schweizerischen System.

Zwischen den ersten Zulagen, die der Bund seinem Personal ab 1916 ausrichtete, und der Verankerung der Familienzulagen in einem entsprechenden Gesetz sollten noch mehrere Jahrzehnte vergehen. Bis es so weit war, kam es aufgrund der unterschiedlichen Systeme zu einer weitreichenden, mitunter schockierenden Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger, von der vor allem die Frauen betroffen waren.

Eine Ursache für diese Ungleichbehandlung lag in den Arbeitsbedingungen: Mehrere kantonale Gesetze sprachen nur Arbeitnehmenden mit einem Vollzeitpensum eine volle Familienzulage zu. Bei Teilzeitbeschäftigten richtete sich die Familienzulage nach dem Beschäftigungsgrad. Einige kantonale Gesetze sahen Ausnahmen für geschiedene Frauen vor, denen die elterliche Sorge zugeteilt wurde. Sie kamen in den Genuss einer vollen Familienzulage, wenn ihr Beschäftigungsgrad ein bestimmtes Mindestpensum (in der Regel 50 %) erreichte. In Kantonen ohne solche Ausnahmen hatten geschiedene Frauen lediglich Anspruch auf eine Teilzulage, während der Kindsvater keinen Anspruch auf eine Zulage mehr geltend machen konnte. Diese Ungleichbehandlung war bis 2004 weit verbreitet, wie die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats 2004 in einem Bericht festhielt: Von 26 Kantonen kannten bloss zwei eine volle Familienzulage ungeachtet des Beschäftigungsgrads und 14 Kantone hatten den Beschäftigungsgrad, der Alleinerziehende zum Bezug einer vollen Familienzulage berechtigte, gesenkt.

Eine weitere Ursache für Diskriminierungen – und die weitaus wichtigste – war die Anspruchsberechtigung in den Fällen, wo sowohl die Mutter als auch der Vater Anspruch auf die Familienzulagen geltend machen konnten. In den ersten Gesetzen, insbesondere jenem über die Bundesbeamten, hatten anfangs nur Väter Anspruch auf eine bedarfsabhängige Teuerungszulage, sofern bestimmte Voraussetzungen (Lohn unter einem bestimmten Grenzbetrag) erfüllt waren. Ab 1927 fiel diese Bedingung weg. 1927 führte der Bund unabhängig von den Kinderzulagen eine «Verheiratetenzulage» für sein Personal ein, auf die später eine «Haushaltungszulage» für landwirtschaftliche Arbeitnehmende folgte, die unter den Geltungsbereich des Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft von 1952 fielen. Die Verheiratetenzulage und die Haushaltungszulage wurden nach dem damals geltenden Zivilgesetzbuch dem Oberhaupt der ehelichen Gemeinschaft und Inhaber der Hausgewalt ausgerichtet. Der Einfluss des Eherechts war damals gross. Daran änderte sich gerade in Bezug auf das Verbot der Leistungskumulierung lange Zeit nichts. In den meisten Kantonen war die Erwerbstätigkeit des Vaters massgeblich, das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Mutter galt als nebensächlich. Diese augenfällige Ungleichbehandlung wurde vom Bundesgericht aber nicht sofort korrigiert. 1985 befand das Bundesgericht, Artikel 4 Absatz 2 der Bundesverfassung vom 14. Juni 1981 sei nicht auf ein kantonales Gesetz anwendbar. Im Streitfall, über den das Bundesgericht befinden musste, sprach das bernische Gesetz nur verheirateten männlichen Beamten ein Recht auf Familienzulagen zu. Frauen dagegen konnten nur einen Anspruch geltend machen, wenn sie massgeblich zum Unterhalt der Familie beitrugen. Die Haltung des Bundesgerichts wurde damals von einem Grossteil der Rechtslehre massiv kritisiert. Andere Stimmen dagegen befanden, bei der in mehreren Gesetzen anzutreffenden Bestimmung ginge es lediglich um die Frage nach der Zuweisung zu einer Ausgleichskasse, die keine Ungleich­behandlung zwischen Frau und Mann begründe. 2002 musste das Bundesgericht im Rahmen eines interkantonalen Streitfalls den im Freiburger Gesetz vorgesehenen Vorrang des Vaters beurteilen. Es wies zuerst das Argument des erstinstanzlichen kantonalen Gerichts zurück, das sein Urteil damit begründete, die Vollzeitbeschäftigung des Vaters entspreche noch immer der gesellschaftlichen Realität. In der Folge stützte sich das Bundesgericht auf das per 1. Januar 1988 in Kraft getretene Eherecht und einen Teil der Rechtslehre und befand, die kantonale Bestimmung zum Vorrang des Vaters widerspreche dem in Artikel 8 Absatz 3 der Bundesverfassung verankerten Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (BGE 129 I 265 E. 3.4).

Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Familienzulagen per 1. Januar 2009 wurde der Geltungsbereich auf alle berufstätigen Personen (Arbeitnehmende, Selbstständige) und ansatzweise auch auf Nichterwerbstätige ausgedehnt. Im neuen Gesetz konnten überdies einige Streitpunkte geklärt werden. Eine volle Familienzulage wird nach dem Gesetz unabhängig vom Beschäftigungsgrad ausgerichtet und bei der Frage nach dem Vorrang wurde nicht das Geschlecht als Kriterium herangezogen, sondern die Art der Erwerbstätigkeit (so haben Arbeitnehmende beispielsweise Vorrang vor Selbstständigen) und die Situation des Kindes nach einer Trennung der Eltern. Da die Familienzulagen immer noch auch in die Zuständigkeit der Kantone fallen, ist eine Ungleichbehandlung je nach Wohnort nach wie vor nicht ausgeschlossen. Mit der Verknüpfung von Anspruchsberechtigung und bezahlter Erwerbstätigkeit sind überdies mitunter schwerwiegende Probleme verbunden, etwa dann, wenn die berufliche Laufbahn durch Krankheit, Unfall, Arbeits­losigkeit oder Elternzeit unterbrochen wird. Vor diesem Hintergrund sind und bleiben Frauen von Diskriminierung weiterhin nicht verschont.

Literaturhinweise

Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe (2019). Handbuch Familienzulagen (9., überarb. und erw. Aufl.). http://www.ak-banken.ch/Formulare/Handbuch.pdf

Matthey, F. & Mahon, P. (2016). Les allocations familiales. In U. Meyer (Hrsg.), Soziale Sicherheit – Sécurité sociale (3. Aufl., S. 1985–2028). Basel: Helbing Lichtenhahn.

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