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Finanzausgleich

Daniela Tschudi


Erstveröffentlicht: December 2020

Das föderalistische Staatssystem der Schweiz zielt darauf ab, jeder Staatsebene politische und finanzielle Autonomie zu gewährleisten. Dafür sind Zuständigkeit und Finanzierungsverantwortung für die staatlichen Aufgaben zu klären. Die Bundesverfassung (BV) teilt die Zuständigkeiten nach dem Subsidiaritätsprinzip zu, die Finanzierungsverantwortung dagegen nach dem ökonomischen Grundsatz «Wer nutzt, zahlt und befiehlt» (Äquivalenzprinzip). Weiter wird in der BV die Zuständigkeit für eine Aufgabe an die Finanzhoheit gekoppelt (Konnexitätsprinzip). Die für eine Aufgabe zuständige Gebietskörperschaft hat also das Recht, Abgaben für die Finanzierung des Aufgabenvollzugs zu erheben. So wird das Ziel der Autonomie erreicht. Aus ökonomischer Perspektive wiederum sind die Voraussetzungen erfüllt, öffentliche Güter und Dienstleistungen effizient zu erstellen und den Standort- und Steuerwettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften spielen zu lassen.

Nicht alle Gebietskörperschaften sind jedoch mit den gleichen Ressourcen ausgestattet bzw. mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Die finanziellen Folgen aufgrund dieser Ungleichheiten – unter Wahrung von Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit – zu reduzieren und ein Auseinanderbrechen der Föderation zu verhindern, bildet den staatspolitischen Hintergrund für den Finanzausgleich. Sozialpolitisch trägt er zu einer Angleichung der Leistungsfähigkeit der einzelnen Gebietskörperschaften und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Die Schweiz kennt einen Finanzausgleich auf der Ebene Bund – Kantone sowie 26 kantonale Finanzausgleichssysteme. 2008 trat die «Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA)» in Kraft. Sie löste den Finanzausgleich von 1959 ab und hatte sich gegen die Alternativen Gebietsreform und materielle Steuerharmonisierung durchgesetzt. Die NFA ihrerseits hatte eine Weiterentwicklung der 26 interkommunalen Finanzausgleichssysteme zur Folge.

Mit der NFA wird zwischen einem Finanzausgleich im weiteren und im engeren Sinne unterschieden. Ersterer besteht aus den drei nachfolgend beschriebenen Elementen: Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung, neue Zusammenarbeits- und Finanzierungsformen zwischen Bund und Kantonen bei Verbundaufgaben sowie die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich.

Die Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung zielt darauf ab, dass möglichst nur eine Staatsebene für eine Aufgabe und deren Finanzierung zuständig ist. Damit wird die Autonomie der jeweiligen Gebietskörperschaften gestärkt und komplexe Finanztransfers werden reduziert. Mit der NFA wurde dem Bund für sieben (z. B. individuelle Leistungen der AHV und IV) und den Kantonen für zehn Aufgaben (z. B. Sonderschulen, Bau und Betrieb von Behindertenheimen) die alleinige Kompetenz über­tragen.

Bei den Verbundaufgaben sind Bund und Kantone – z. B. Krankenkassen, Ergänzungsleistungen – beziehungsweise Kanton und Gemeinden gemeinsam für eine Aufgabe zuständig (kooperativer Föderalismus). In der Regel ist die höhere Staatsebene für die strategische Steuerung sowie Gesetzgebung und die tiefere Staatsebene für den Vollzug verantwortlich. Die Finanzierung erfolgt gemeinsam und ist möglichst Ergebnis- und output-orientiert (statt Kosten und input-orientiert). Dies kennzeichnet auch die neuen Zusammenarbeits- und Finanzierungsformen zwischen Bund und Kantonen, mit denen der Handlungsspielraum der Kantone vergrössert und eine wirkungsorientierte Steuerung ermöglicht werden soll.

Die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich ist die Antwort auf kantonsübergreifende Herausforderungen. Um einer Zentralisierung der Aufgaben beim Bund und um das so genannte Trittbrettfahrerverhalten zu verhindern, treffen Kantone untereinander vertragliche Vereinbarungen inklusive Finanzierungsregelungen. Zudem kann der Bund auf Antrag der Kantone in neun Bereichen (u. a. Straf- und Massnahmenvollzug, Institutionen zur Eingliederung und Betreuung von Invaliden) interkantonale Vereinbarungen für alle Kantone als verbindlich erklären.

Die drei Elemente des Finanzausgleichs im weiteren Sinne fanden teilweise Eingang in die Weiterentwicklung der interkommunalen Finanzausgleichssysteme. Das Konzept des nachfolgend erläuterten Finanzausgleichs im engeren Sinne mit Ressourcen- und Lastenausgleich werden demnächst alle Kantone in ihre Gesetzgebungen aufgenommen haben.

Der Finanzausgleich im engeren Sinne bezweckt gemäss BV, dass die Gebietskörperschaften trotz der Disparitäten «über die notwendigen finanziellen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen». Der Ausgleich beschränkt sich auf Einnahmen und Ausgaben, welche die Gebietskörperschaften kaum oder nicht selber beeinflussen können. Um Fehlanreize und Zielkonflikte zu verhindern, erfolgt der Finanztransfer nicht aufgabengebunden, sondern – mit Blick auf die Wahrung der Autonomie und des Steuerwettbewerbs – zweckfrei. Die separate Betrachtung von Ertragsseite (Ressourcen) und Aufwandseite (Lasten) fördert die Transparenz der Finanzflüsse. Beim Übergang von alten zu neuen Finanzausgleichsbestimmungen kann zudem ein Härteausgleich für die Abfederung von besonderen Belastungen bereitgestellt werden. Insgesamt betrugen die NFA-Ausgleichszahlungen 2008 4,1 Mia. Franken und 2018 gut 5 Mia. Franken. Diese verteilten sich im Schnitt zu 78 % auf den Ressourcenausgleich, 15 % auf den Lastenausgleich (je hälftig auf den geografisch-topo­grafischen und den soziodemografischen Ausgleich) und 7 % auf den Härteausgleich.

Der Ressourcenausgleich hat eine Angleichung der Steuerkraft zum Ziel. Sie basiert auf der fiskalisch abschöpfbaren Wertschöpfung einer Gebietskörperschaft («harmonisierter Steuerertrag», «Ressourcenpotenzial») und nicht auf den tatsächlich realisierten Steuereinnahmen. Mit Hilfe der Steuerkraft, die nach gesetzlichen Vorgaben indexiert wird, lassen sich die Gebietskörperschaften in ressourcenstarke und -arme unterscheiden. Wie stark ausgeglichen wird, hängt u. a. von der politisch definierten Mittelausstattung ab.

Die Lastenausgleichssysteme in der Schweiz kennen unterschiedliche auszugleichende Lasten: geografisch-topografische Lasten (z. B. Steilheit der Lage, Siedlungsdichte), soziodemografische Lasten (z. B. Anteil von Kindern und Jugendlichen, Hochbetagten oder Armutsbetroffenen an der Gesamtbevölkerung), Zentrumslasten (z. B. Kultur- und Sportangebote) und ausserordentliche Lasten (z. B. Naturkatastrophen). Welche Faktoren als Last gelten, wie die Grösse der einzelnen Lasten ermittelt und gewichtet wird, hängt von der Situation der Gebietskörperschaften ab und wird sehr verschieden gehandhabt. So kennen etwa einige Kantone beim soziodemografischen Lastenausgleich im Sinne eines Anreizes für das Kostenbewusstsein bei den Empfängern einen Selbstbehalt, obwohl der Empfänger die Lasten per definitionem kaum beeinflussen kann. Das Beispiel zeigt den Einfluss (sozial-)politischer Überlegungen auf den staatspolitisch motivierten Ausgleich. Generell erweist sich vor allem die Ausgestaltung des soziodemografischen Lastenausgleichs aufgrund der Komplexität des sozialen Sicherungssystems, der Nachweisbarkeit der Wirkungszusammenhänge sowie der Messbarkeit der Lasten als Herausforderung.

Die Mittel für den Finanzausgleich stammen entweder von der übergeordneten Gebietskörperschaft (vertikaler Ausgleich) oder den Gebietskörperschaften der gleichen Ebene (horizontaler Ausgleich). Bei den Finanzausgleichssystemen der Schweiz kommt ersterer beim Lastenausgleich, letzterer häufiger beim Ressourcenausgleich zur Anwendung. Die Forschung weist auf die Vorteile des horizontalen Ausgleichs hin: Die Geber bilden ein Gegengewicht zu den Empfängern und sind nicht daran interessiert, die Empfangsberechtigungskriterien zu erweitern. Der horizontale Finanztransfer stärkt die Autonomie der unteren Staats­ebene und erreicht das Ziel, kaum beeinflussbare Unterschiede zu reduzieren, wirksamer als der vertikale. Dies wird auch empirisch von den Wirksamkeitsberichten gestützt, welche Bund und auch immer mehr Kantone eingeführt haben, um die Steuerungsfähigkeit ihres Finanzausgleichssystems auszuwerten.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen folgendes Bild: Die gesetzlichen Bestimmungen zum Finanzausgleich werden regelmässig debattiert und überarbeitet. Dies macht deutlich, dass Finanzausgleichssysteme Teil und Ergebnis von politischen Aushandlungsprozessen sind. Die Vielfalt der schweizerischen Finanzausgleichssysteme bietet Anregungen und Ansporn zu deren Weiterentwicklung.

Literaturhinweise

Mischler, P. & Moser, W. (2011). Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen und Kantonen (NFA). In A. Lienhard (Hrsg.), Finanzrecht (S. 259–341). Basel: Helbing Lichtenhahn.

Rühli, L. (2013). Irrgarten Finanzausgleich: Wege zu mehr Effizienz in der interkommunalen Solidarität. Zürich: Avenir Suisse.

Tschudi, D. (2015). Ausgleich oder Wettbewerb? Die Sozialhilfe im interkommunalen Soziallastenausgleich: Ein systematisierter Überblick über die interkommunalen Soziallastenausgleichssysteme in der Schweiz und Überlegungen zum Kanton Zürich (Masterarbeit Executive Master of Public Administration MPA). Bern: Universität Bern.

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