Fürsorgerische Unterbringung (FU)
«Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann.» So definiert das Schweizerische Zivilgesetzbuch seit dem 1. Januar 2013 die Fürsorgerische Unterbringung, kurz FU genannt. Kantonal bezeichnete Ärzte und Ärztinnen sowie die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) dürfen demnach – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind – natürliche Personen auch ohne oder gegen ihren Willen in einer geeigneten Institution unterbringen. (Für minderjährige Personen gelten teilweise abweichende Bestimmungen). Eine ärztliche Unterbringung fällt spätestens sechs Wochen nach dem Unterbringungsentscheid dahin, es sei denn, die KESB verlängert die FU. Eine Unterbringung durch die KESB kann unbefristet verfügt, muss aber regelmässig überprüft werden.
Voraussetzungen für eine Unterbringung sind ein Schwächezustand – eine psychische Störung, eine geistige Behinderung oder eine schwere Verwahrlosung -, eine Behandlungs- bzw. Betreuungsbedürftigkeit (Schutzbedürftigkeit) sowie eine geeignete Einrichtung. Zudem muss die FU verhältnismässig d. h. insbesondere erforderlich sein: Weniger einschneidende d. h. ambulante Massnahmen haben versagt oder kommen von vorneherein nicht in Frage. Beim Einweisungsentscheid dürfen die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Drittpersonen wie Nachbarinnen und Nachbarn, aber auch von Professionellen, wie bspw. einer Spitexorganisation, berücksichtigt werden. Eine reine «Fremdgefährdung» reicht für eine FU jedoch nicht aus: Betroffene müssen an einem Schwächezustand leiden und selber schutzbedürftig sein. Die Entlassungskompetenz bei einer ärztlichen FU liegt bei der Einrichtung; bei einer Einweisung durch die KESB entscheidet diese selber über die Entlassung, es sei denn, sie delegiert den Entscheid an die Einrichtung. Mit der FU ist ein ausgebauter Rechtsschutz verbunden d. h. die Betroffenen können sich gegen die Einweisung, den weiteren Aufenthalt sowie gegen medizinische und bewegungseinschränkende Massnahmen, welche während des Aufenthaltes gegen ihren Willen ergriffen werden, vor einem Gericht zur Wehr setzen.
Fürsorgerische Unterbringungen sind historisch, ethisch und rechtlich ein belastetes und heikles Thema. Historisch, da vor Einzug der altrechtlichen Bestimmungen zur «Fürsorgerischen Freiheitsentziehung» 1981 ins schweizerische Zivilgesetzbuch keine einheitliche bundesrechtliche Rechtsgrundlage für Zwangseinweisungen bestand und zahlreiche sogenannt «administrativ Versorgte» bis heute unter willkürlichen Behördenentscheiden leiden. Ethisch, da mit einer FU in die Freiheit von Betroffenen eingegriffen und ihr Selbstbestimmungsrecht massiv beschnitten wird. Damit zusammenhängend stellt sich die Frage, wie gesellschaftspolitisch mit Personen, welche von einer bestimmten Norm abweichen, umgegangen werden soll. Rechtlich, da Begriffe wie bspw. «Geeignetheit» unbestimmt formuliert sind und somit einen Ermessensspielraum offen lassen. Auch wenn sich die Rechtsanwendenden dabei auf das Gesetz, die Rechtsprechung, die Rechtslehre sowie die Rechtspraxis abstützen, ist nicht von der Hand zu weisen, dass persönliche Werthaltungen und Einschätzungen bei der Anwendung von Rechtsbegriffen und damit bei für Betroffene weitreichenden Entscheidungen eine Rolle spielen.
Zur Einweisungsrate fehlen in der Schweiz gesicherte Daten, weshalb ein europäischer Vergleich kaum aussagekräftig ist. Es fehlt ein umfassendes, gesamtschweizerisches Monitoringsystem. Bezüglich Einweisungspraxis bestehen zwischen den Kantonen grosse Unterschiede. Es spielt zum Beispiel eine Rolle, ob alle in einem Kantonsgebiet zugelassenen oder nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte Betroffene einweisen können. Unerfahrenheit im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen führt möglicherweise eher dazu, eine betroffene Person stationär einzuweisen. Auch die Versorgungsstrukturen sind relevant: Fachpersonen sind sich heute weitgehend einig, dass die Einweisungsrate gesenkt werden könnte, wären mehr ambulante Strukturen wie beispielsweise mobile Kriseninterventionsequipen vorhanden, durch welche Betroffene früher aufgefangen werden könnten. Der Aufbau dieser Strukturen wiederum scheitert jedoch oft an den vorgegebenen Finanzierungssystemen. Immerhin können die KESB ambulante Massnahmen wie bspw. regelmässige Arztbesuche verfügen, um Krisen vorzubeugen. Diese Anordnungen sind jedoch nicht gegen den Willen der Betroffenen durchsetzbar.
Im Rahmen der Revision des neuen Erwachsenenschutzrechtes wurden bei der Fürsorgerischen Unterbringung insbesondere die Terminologie angepasst sowie die Einweisungskompetenz von Ärzten und Ärztinnen, das Recht auf eine Vertrauensperson sowie die Voraussetzungen zu den Zwangsbehandlungen neu geregelt. Nach wie vor stellen sich jedoch eine Reihe von rechtlichen Fragen, welche die Rechtspraxis, die Rechtsprechung und der Gesetzgeber bei einer Revision werden lösen müssen: Ist es beispielsweise gerechtfertigt – im Gegensatz zur hohen Verbindlichkeit in der Somatik – Patientenverfügungen im Rahmen einer Fürsorgerischen Unterbringung bei der Behandlung von psychischen Störungen nur zu «berücksichtigen» und die gesetzlichen Vertretungsrechte in medizinischen Angelegenheiten dabei ebenfalls ausser Acht zu lassen? Ist dieses zweigleisige Verfahren von Psyche und Soma noch zeitgemäss? Welche Wertungen sind damit verbunden und was bedeutet dies für Betroffene? Wie verhält es sich mit den zwei rechtlich unterschiedlichen Regimes der «Behandlung ohne Zustimmung» sowie den «Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit»? In einer psychiatrischen Klinik werden Zwangsmedikationen und bewegungseinschränkende Massnahmen oftmals kombiniert durchgeführt und es stellt sich die Frage, wie praktikabel die bestehenden Regelungen sind. Unklar ist beispielsweise auch, wie es sich rechtlich verhält, wenn eine betroffene Person gegen ihren Willen zur Behandlung ihrer psychischen Störung Medikamente erhält und gleichzeitig zwangsernährt wird, d. h. wenn eine psychische und somatische Behandlung gleichzeitig erfolgen: Wer hat hierbei welche Kompetenzen und Rechte? Auch ausserhalb von psychiatrischen Kliniken stehen Fragen an: Sollte beispielsweise bei einer Einweisung in eine Wohn- und Pflegeeinrichtung einer urteilsunfähigen Person eine FU verfügt werden, wenn unklar ist, ob sie den Eintritt möchte oder nicht? Wie verhält es sich, wenn dieselbe Person während des Aufenthaltes Medikamente verweigert? Muss hier eine FU geprüft werden?
Selbst wenn jedoch viele der angesprochenen Fragen geklärt sein werden: Die Fürsorgerische Unterbringung befindet sich stets in einem sozial- und gesellschaftspolitischen Spannungsfeld und ist letztlich Ausdruck dafür, wie eine Gesellschaft mit Menschen umgeht, die – aus welchen Gründen auch immer – anders sind und eines besonderen Schutzes bedürfen.
Literaturhinweise
Bernhart, C. (2011). Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung: die fürsorgerische Unterbringung und medizinische Behandlung nach dem neuen Erwachsenenschutzrecht sowie dessen Grundsätze. Basel: Helbing Lichtenhahn.
Geiser, T. & Etzensberger, M. (2012). Kommentar zu Art. 426–439 ZGB. In T. Geiser & R. Reusser (Hrsg.), Basler Kommentar Erwachsenenschutz, Art. 360–456 ZGB, Art. 14, 14a SchlT ZGB (S. 444–530). Basel: Helbing Lichtenhahn.
Rosch, D. (2014). Medizinische Massnahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung: Schnitt und Nahtstellen. AJP / PJA Aktuelle Juristische Praxis / Pratique Juridique Actuelle, 1, 3–10.