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Gesundheitsberufe

Ursina Baumgartner, Iren Bischofberger


Erstveröffentlicht: December 2020

Personen aus Gesundheitsberufen verfügen über Kompetenzen zur unmittelbaren Gesund­heitsversorgung von kranken, behinderten oder hochaltrigen Menschen sowie für gesunde Menschen, wie für Frauen rund um die Geburt. Gesundheitsfachpersonen diag­nostizieren, ver-­hüten, heilen oder lindern Beschwerden, för­dern das Wohlbefinden und die Gesundheits­kompetenz und setzen sich für eine zweckmässige Koordination der Leistungs­erbringer ein.

Von den 1960er bis 2000er Jahren beaufsichtigte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) im Auftrag der Gesundheitsdirektorenkonferenz die nicht-ärztlichen Berufe im Gesundheitswesen, u. a. Krankenpflege, Physio- und Ergotherapie, Hebammen, Ernährungsberatung und auch medizinisch-technische Berufe sowie Assistenzberufe (Pflegeassistent/in). Diese Aufsicht ging mit Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes und des Fachhochschulgesetzes im Januar 2005 in die Regelungskompetenz des Bundes über. Medizinalberufe (Humanmedizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Pharmazie, Chiropraktik) wurden bereits vorher vom Bund reglementiert und sind seit 2007 im Medizinalberufegesetz (MedBG) geregelt.

Parallel zur Reform der früheren SRK-Berufe wurden auch die Berufe auf der Sekundarstufe II neu geschaffen bzw. weiterentwickelt, namentlich Fachfrau/Fachmann Gesundheit (FaGe) sowie Assistent/in Gesundheit und Soziales (AGS). Kombiniert mit einer Berufsmaturität ermöglichen diese Ausbildungen den Zugang zu einer Fachhochschule. Eine Besonderheit der Berufsbildungsreform ist, dass die Westschweizer Kantone die Gesundheitsberufe ausschliesslich an Fachhochschulen anbieten. Im Gegensatz dazu werden in der Deutschschweiz Pflegefachpersonen an Höheren Fachschulen und an Fachhochschulen ausgebildet. Insgesamt verfolgt die ausdifferenzierte Bildungssystematik der Gesundheitsberufe das Motto: «Kein Abschluss ohne Anschluss.» So ist etwa für die Pflegeberufe eine Laufbahn vom Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis auf Sekundarstufe II bis zum Doktorat in Pflegewissenschaft möglich.

Im Weiterbildungssektor gibt es auf Sekundarstufe II, den Höheren Fachschulen sowie Fachhochschulen und weiteren Anbietern (u. a. Verbände) zahlreiche Bildungsangebote. Teils werden sie auf dem freien Markt angeboten, teils sind die Bildungsgänge eidgenössisch reglementiert, wie die Berufsprüfungen (BP) und Höheren Fachprüfungen (HFP). Auf der Ebene der Hochschulen etablieren sich Weiterbildungsstudiengänge mit massgeschneiderten Fachvertiefungen. Die zahlreichen neuen Abschlüsse sind einerseits eine Bereicherung für die Gesundheitsversorgung, andererseits sind die Betriebe gefordert mittels skill mix/grade mix-Konzepten die Aufteilung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen den Gesundheitsberufen und Ausbildungsniveaus zu regeln.

2016 verabschiedete das Parlament das Gesundheitsberufegesetz. Dieses fördert im Interesse der öffentlichen Gesundheit die Qualität in den Gesundheitsberufen und regelt dazu die Abschlusskompetenzen auf Bachelorstufe folgender Berufe: Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Ernährung und Diätetik, Hebammen, Optometrie und Osteopathie. Zudem regelt es die Berufsausübung dieser Gesundheitsberufe sowie zusätzlich derjenigen mit einer Ausbildung Höheren Fachschule Pflege (HF). Ein nationales Register ermöglicht die schweizweite Rückverfolgung von Abschlüssen und Disziplinarmassnahmen. Die neue Gesetzgebung sieht aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung eine obligatorische Programm­akkreditierung dieser Studiengänge vor. Die Kompetenzen und der Abschluss des Konsekutivmasters sind im Gesetz einzig für die Osteopathie geregelt, nicht aber für die anderen Berufe.

Die allgemeinen und berufsspezifischen Ab­schlusskompetenzen orientieren sich – wie auch die Medizinalberufe – an den ­sieben Refe­renzrollen des kanadischen Modells «CanMEDS»: Expert/in, Kommunikator/in, Team­­mitglied, Manager/in, Health Advocate, Lernen­de & Lehrende und Professionsangehörige. Die Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge sind in der Lage, als Fachleute in ihrem Beruf die direkte Gesundheitsversorgung der kranken und pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen zu übernehmen. Dabei verfügen sie über umfassende Kompetenzen, wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu prüfen und bspw. in Form von evidenzbasierter Praxis im Berufsalltag umzusetzen. Sie kennen die Denk-, Entscheidungs- und Handlungsprozesse im Gesundheitssystem sowie das Zusammenspiel der verschiedenen Gesundheitsberufe. Damit sind sie auf eine interprofessionelle Zusammenarbeit vorbereitet.

Gestützt auf das Krankenversicherungsgesetz (KVG) arbeiten diese Berufsangehörigen im Bereich medizinische Diagnose und Therapie auf Delegationsbasis und rechnen ihre Leistungen in der häuslichen und ambulanten Gesundheitsversorgung gestützt auf die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) aufgrund einer ärztlichen Verordnung mit der Krankenversicherung ab. Die konkrete Berufsausübung erfolgt in eigener fachlicher Verantwortung.

Auch wenn die Masterstufe nicht reglementiert ist, üben die MSc AbsolventInnen ihre klinischen Expertenrollen zum Wohle von Patientinnen und Patienten, Behandlungsteams und Betrieben aus und sorgen insbesondere in hochkomplexen Situationen für eine möglichst lange Verweildauer mit hoher Lebensqualität im nicht stationären Setting. International ist die Masterstufe als Standard für die Versorgung der zunehmend mehrfach erkrankten, oft hochbetagten Menschen im ambulanten und stationären Bereich mit verschiedenen Therapien, kombiniert mit geringen sozialen Ressourcen (Bildung, Finanzen, Hilfenetz) vorgesehen. Berufsverbände und Hochschulen zielen darauf hin, dass die Kompetenzen der Masterstufe im Sinne einer weiter reichenden Patientensicherheit und interprofessionellen Zusammenarbeit dereinst gesetzlich verankert werden.

Um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen (starke Zunahme der degenerativen/chronischen Erkrankungen, Multimorbidität und Hochaltrigkeit) proaktiv gerecht zu werden, sind Massnahmen gegen den Fachkräftemangel und innovative Versorgungsmodelle mit neuartigen Aufgabenteilungen, Zusammenarbeitsformen sowie Finanzierungssystemen gefragt.

Bis 2025 sind gemäss dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium in der Pflege 40 000 zusätzliche Personen nötig, 70 % davon in der Langzeitpflege. Der Bundesrat hat deshalb Ende 2016 entschieden, das Image der Langzeitpflege zu fördern sowie Kurse für den Wiedereinstieg und konkrete Verbesserungen der Arbeitsumgebung finanziell zu unterstützen. Die Gewerkschaften machen für die hohe Berufsausstiegsrate in der Langzeitpflege Zeitdruck, Stress, schlechte Schichtsysteme und tiefe Löhne verantwortlich. In der Folge führt die ungenügende Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu Krankheitsausfällen und beruflichen Neuorientierungen. Sie fordern, dass sich der Sozialstaat für flächendeckende, gute Gesamtarbeitsverträge einsetzt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Für ein gelingendes interprofessionelles Zusammenarbeiten in der klinischen Praxis sind interprofessionelle Bildungsangebote gefordert. Erste erfolgreiche Beispiele dazu sind gemeinsame Skilltrainings zu Notfallsituationen mit Studierenden Pflege und Medizin. Diese gemeinsamen Bildungsangebote sind nötig, um die Gesundheitsfachpersonen auf eine Collaborative Practice vorzubereiten, die am besten die lokalen Gesundheitsbedürfnisse abdecken. Die Mitarbeit in einem interprofessionellen Team setzt nicht nur voraus, dass überfachliche Schlüsselkompetenzen, wie respektvolle Kommunikation, vorgängig erworben wurden, sondern auch, dass jedes Teammitglied seine berufliche Tätigkeit an die Funktion anpasst, die zur bestmöglichen Problemlösung beiträgt. Für eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit braucht es aber auch geeignete Rahmenbedingungen auf politischer Ebene, in den Betrieben und den Gesetzen. Dazu gehört die Akzeptanz der Akademisierung der Gesundheitsberufe, die Unterstützung durch Verwaltung und Vorgesetzte, sowie mehr Verantwortung für die Abrechnung der Leistungen in eigener fachlicher Verantwortung.

Literaturhinweise

Bundesamt für Gesundheit (2013). Bericht der Themengruppe «Interprofessionalität». Bern: Bundesamt für Gesundheit.

Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2014). Charta: Zusammenarbeit der Fachleute im Gesundheitswesen. https://www.samw.ch/de/Projekte/Interprofessionalitaet.html

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