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Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ)

Cyrielle Champion

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Allgemein bezeichnet interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen der Sozialen Sicherheit, dem Bildungswesen und den Integrationsstellen mit dem Ziel, gezielte Lösungen für Betroffene zu finden und ihnen zu einer schnellen und dauerhaften Integration in die Arbeitswelt zu verhelfen. Ein weiteres Ziel der IIZ ist es, die verschiedenen Systeme besser aufeinander abzustimmen. Im Vordergrund der IIZ steht damit eine bessere Zusammenarbeit sowohl auf individueller als auf struktureller Ebene.

Der Aufbau von konkreten IIZ-Projekten obliegt vorwiegend den Kantonen und Gemeinden. In der Praxis kann die IIZ verschiedenste Formen annehmen. Unter den Begriff fallen auch verschiedene Modelle der formalen und informellen, bilateralen oder multilateralen Zusammenarbeit, die von einem blossen Informationsaustausch über die gemeinsame Umsetzung von Integrationsmassnahmen bis hin zur Festlegung gemeinsamer Strategien reichen kann. Zu den wichtigsten Partnerorganisationen gehören die Invalidenversicherung (IV), die Arbeitslosenversicherung (ALV), die Sozialhilfe, Berufsbildungs- sowie Migrations-/Integrationsstellen. Ebenfalls wichtige Partner sind Institutionen aus dem Bereich der beruflichen (Wieder-)Eingliederung, d. h. Krankentaggeld- und Unfallversicherer (vgl. IIZ-Plus weiter unten).

Die Notwendigkeit einer besseren Koordination zwischen den Einrichtungen der Sozialen Sicherheit manifestierte sich nach der Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre und der Neuorientierung hin zur Aktivierungspolitik. Doch erst zu Beginn des neuen Jahrtausends nahm die IIZ nach einer gemeinsamen Empfehlung der Konferenz Kantonaler Volkwirtschaftsdirektionen (VDK) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektionen und Sozialdirektoren (SODK) zur Förderung der interinstitutionellen Zusammenarbeit im Jahr 2001 Fahrt auf. Seither hat jeder Kanton mindestens eine Form der bilateralen oder multilateralen IIZ für die Betreuung betroffener Menschen initiiert oder formalisiert.

Auf Bundesebene trugen mehrere Projekte zum Aufschwung der IIZ bei. Eines davon ist das Handbuch zur interinstitutionellen Zusammenarbeit, das 2004 von einem nationalen Komitee, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der involvierten nationalen und kantonalen Institutionen veröffentlicht wurde. Ein weiteres erwähnenswertes Projekt war das von 2005 bis 2010 durchgeführte Pilotprojekt IIZ-MAMAC (MAMAC: medizinisch-arbeitsmarktliche Assessments mit Case Management). Zielpublikum waren Personen mit komplexer Mehrfachproblematik, aber guten Chancen auf eine berufliche Wiedereingliederung. Das Projekt zeichnete sich durch einen klar definierten Betreuungsprozess und eine gemeinsame Integrationsstrategie aus, die für alle am Projekt Beteiligten – die regionale Arbeitsvermittlung (RAV), die Sozialdienste und die IV-Stellen – verbindlich war. Trotz durchzogener Bilanz stellte das Projekt IIZ-MAMAC eine wichtige Etappe für die weitere Entwicklung der IIZ dar. Es führte dazu, dass in den Kantonen neue IIZ-Projekte lanciert wurden, es ermöglichte einen besseren Dialog zwischen den Partnerinstitutionen und gab der IIZ eine höhere Verbindlichkeit. Schliesslich sei auch das 2008 initiierte Projekt IIZ-Plus erwähnt, das eine frühzeitige, eingliederungsorientierte Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den ihr vorgelagerten Versicherungsträgern zum Ziel hatte. Dazu gehören Krankentaggeldversicherer, Unfallversicherer und wegen der Prämienbefreiung und der Bindungswirkung des IV-Entscheides auch Vorsorgeeinrich­tungen.

Seit 2011 besitzt die IIZ eine spezifische nationale Organisation. Sie umfasst alle in die IIZ involvierten Partner und Partnerinnen auf Bundes- Kantons- und Gemeindeebene. Mit der neuen Organisation sollen die IIZ auf Bundesebene gefördert und der Erfahrungsaustausch zwischen den Kantonen erleichtert werden. Weiter sollen die Kantone bei der Weiterentwicklung der IIZ unterstützt werden.

Seit 2002 ist die IIZ auch gesetzlich verankert, und zwar in Artikel 85 f. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes AVIG, nach der 4. und 5. IV-Revision auch in Artikel 68bis des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung IVG sowie im Versicherungsvertragsgesetz VVG.

Während sich andere Länder organisatorischen Umstrukturierungen zuwandten, um eine bessere Koordination zwischen ihren Sozialwerken zu gewährleisten, setzte die Schweiz auf die IIZ, eine leichte und pragmatische Form der Koordination. In dieser Wahl widerspiegelt sich die starke Fragmentierung des schweizerischen Sozialversicherungs-, Bildungs- und Integrationssystems. Bislang stand hinter der IIZ der Grundsatz, dass die Koordination über eine bessere interne Zusammenarbeit zwischen den bestehenden Strukturen erfolgen und keine neue Institution oder Parallelstruktur aufgebaut werden soll, nicht zuletzt wegen der Besonderheiten der schweizerischen Sozialhilfe. Dass die Sozialhilfe in den Zuständigkeitsbereich der Kantone und der Gemeinden fällt, erschwert die Koordinationsanstrengungen in der Praxis und schränkt die Möglichkeiten einer verbindlicheren Zusammenarbeit auf Bundesebene ein.

Heute ist die IIZ in den Kantonen zwar gut aufgestellt und ihr Nutzen in der Praxis und bei den Klienten und Klientinnen unbestritten. Dennoch gibt es noch immer zahlreiche Stimmen, die die Grenzen der IIZ bemängeln. So wird regelmässig kritisiert, dass die IIZ personenabhängig sei und es keine strukturellen Anreize für eine Zusammenarbeit in einem schwer zugänglichen System gebe. Weiter wird bemängelt, dass sich die Wirkung der IIZ nur schwerlich messen lasse. Davon zeugen die durchzogenen Ergebnisse von Evaluationen, die die Wiedereingliederungsquote und die Kosten des Systems messen sollten. Dies liegt teilweise daran, dass die IIZ sich oft an eine Zielgruppe richtet, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, gesundheitlichen oder sozialen Problemen bereits weitab vom Arbeitsmarkt steht. Letztlich dürften sich die durchzogenen Resultate aber auch damit erklären lassen, dass sich die Wirkung der IIZ nur schwerlich isoliert von den Auswirkungen sonstiger sozialer und beruflicher Integrationsmassnahmen betrachten lässt.

Doch trotz oder gerade wegen dieser Einschränkungen entwickelt sich die IIZ ständig weiter. Seit dem Abschluss des Projekts IIZ-MAMAC gab es auf kantonaler Ebene immer wieder Innovationen. Neben den «traditionellen», bilateralen oder unilateralen IIZ-Projekten (vgl. IIZ-MAMAC) testen die Kantone integriertere Formen der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen. Neue Kooperationsformen entstanden etwa bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen im Tandem RAV–Sozialamt. Ein weiteres Beispiel ist die Schaffung von einheitlichen Anlaufstellen für Anliegen rund um die Integration. Auch die involvierten Bereiche haben sich stark weiterentwickelt. Ursprünglich standen die ALV, die IV und die Sozialhilfe im Zentrum der IIZ, im Laufe der Zeit kamen die Berufsbildung und das Migrationswesen dazu, was davon zeugt, dass die IIZ sich an die neuen sozioökonomischen Herausforderungen anzupassen vermag.

Literaturhinweise

Bieri, O., Itin, A., Nadai, E., Canonica, A., Flamand, E. & Pluess, S. (2013). Formen institutioneller Zusammenarbeit in der Schweiz: Bestandsaufnahme und Typologie. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen.

Egger, M., Merckx, V. & Wüthrich, A. (2010). Evaluation des nationalen Projekts IIZ-MAMAC. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen.

Mitglieder der Nationalen IIZ-Koordinationsgruppe. (2004). Handbuch zur interinstitutionellen Zusammenarbeit IIZ. Bern: SECO.

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