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Kinder- und Jugendarbeit

Julia Gerodetti, Manuel Fuchs


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Kinder- und Jugendarbeit ermöglicht Heranwachsenden ausserhalb der Schule und Familie Orte und Gelegenheiten für vielfältige Erfahrungen, Erlebnisse und weitgehend selbst gesteuerte Aktivitäten. Die Kinder- und Jugendarbeit ist ein Leistungsbereich der Kinder- und Jugendhilfe, der sich durch Freiwilligkeit und Partizipation auszeichnet und sowohl die Offene Kinder- und Jugendarbeit als auch die Kinder- und Jugendverbandsarbeit umfasst. Während sich die Kinder- und Jugendverbandsarbeit durch Selbstorganisation, Ehrenamt und verbindliche Mitgliederstrukturen auszeichnet und mehrheitlich von Kinder- und Jugendverbänden (z. B. Jungwacht/Blauring, Cevi, Pfadibewegung) getragen wird, stellt die Offene Kinder- und Jugendarbeit ein professionalisiertes Handlungsfeld der Sozialen Arbeit dar, das offen und ohne Mitgliedschaft allen Kindern und Jugendlichen während der Freizeit zugänglich ist und vornehmlich von der öffentlichen Hand (Gemeinden) finanziert wird.

Die Kinder- und Jugendverbandsarbeit hat in der Schweiz eine lange Tradition und gründet auf Jugendbewegungen unterschiedlicher Milieus in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh. Die vormals stark konfessionell geprägten Verbände Cevi, Pfadibewegung und Jungwacht/Blauring haben sich im Laufe letzten Jahrhunderts zu den bedeutendsten Kinder- und Jugendverbänden der Schweiz entwickelt. Im Vergleich mit den Gründungsjahren ist die religiöse Prägung ihrer Angebote (je nach Verband und Region in unterschiedlichem Ausmass) zugunsten eines Ideals der qualifizierten Freizeitgestaltung in den Hintergrund getreten. Der bereits im Jahr 1944 gegründete nationale Dachverband, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), stellt heute die bedeutsamste Lobbyorganisation für die Kinder- und Jugendverbände in der Schweiz dar. Neben der nationalen Ebene sind die Kinder- und Jugendverbände in kantonalen Verbänden und in lokalen Abteilungen und Gruppen organisiert, wobei die typischen Angebote (Gruppenstunden, Wochenend- oder Ferienaktivitäten) in der Regel in lokalen meist altersspezifisch abgestuften Abteilungen oder Gruppen angeboten werden. Prägend für die Angebote sind die jeweiligen inhaltlichen und weltanschaulichen Präferenzen sowie die Wertehaltungen des jeweiligen Verbands. In der Kinder- und Jugendverbandsarbeit in der Schweiz lassen sich zwischen den einzelnen Sprachregionen keine grossen Unterschiede feststellen. Auch ein Vergleich der Kinder- und Jugendverbandsarbeit der Schweiz mit derjenigen der umliegenden Länder lässt keine erheblichen Unterschiede zu den dortigen Strukturen und Entwicklungen erkennen.

Demgegenüber ist die Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz stärker als in anderen Ländern von Heterogenität geprägt, welche u. a. in den föderalistischen Strukturen und in den vorherrschenden unterschiedlichen Einflüssen und Prägungen in den verschiedenen Sprachregionen gründet. Während sich die Praxis in der Deutschschweiz mehrheitlich an den Entwicklungen des deutschsprachigen Raums orientiert, ist das Verständnis der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Romandie und im Tessin stark von den Entwicklungen der romanischen Länder beeinflusst worden. Es ist jedoch festzustellen dass im Tessin kaum Offene Kinder- und Jugendarbeit vorhanden ist. In der Romandie und der Deutschschweiz sind andere Konzepte im Umgang mit den Jugendlichen und andere wissenschaftliche Orientierungen vorhanden. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Deutschschweiz wird als eigenständiges Handlungsfeld mit eigenen Konzepten und Methoden betrachtet, hingegen wird sie in der Romandie als Teil des Berufsfeldes animation socio-culturelle verstanden, das oft in sogenannten generationenübergreifenden centres de loisirs oder maisons de quartier umgesetzt wird. Obschon diese soziokulturellen Unterschiede nach wie vor das Handlungsfeld prägen, sind gegenseitige Beeinflussungen erkennbar. So ist beispielsweise das Konzept der soziokulturellen Animation heute auch in der Deutschschweiz relativ bekannt und wird in Praxiskonzeptionen berücksichtigt. Zudem lassen sich beide Verständnisse der Kinder- und Jugendförderung im Sinne des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes (KJFG) zuordnen.

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz ist ursprünglich aus der Jugendbewegung der 1960er Jahre entstanden und hat sich ausgehend von grösseren Städten wie Zürich, Basel, Bern, Biel usw. während der vergangenen Jahrzehnte auch in ländlichen Regionen und Kantonen etabliert und zunehmend ausdifferenziert. Nach Definition des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit (DOJ) verfügt die Offene Kinder- und Jugendarbeit über einen sozialräumlichen Bezug und einen sozialpolitischen, pädagogischen und sozio­kulturellen Auftrag und orientiert sich an den konstitutiven Grundprinzipien Offenheit, Freiwilligkeit und Partizipation. Aufgrund der föderalistischen Gegebenheiten sind die Angebote und Strukturen der Offene Kinder- und Jugendarbeit je nach lokalen Bedingungen auch heute noch sehr unterschiedlich ausgeprägt (z. B. gibt es Abenteuerspielplätze, centres de loisirs, offene Jugendzentren, mobile Ansätze, zielgruppenspezifische Angebote oder selbstverwaltete Nutzungsformen). Dabei ist die grosse Mehrheit der Angebote für die Altersgruppe der Kinder erst in den letzten 15–20 Jahren entstanden. Seit der Gründung des DOJ im Jahr 2002 existiert für die Offene Kinder- und Jugendarbeit ein wichtiger Verband auf nationaler Ebene, welcher u. a. mit dem SAJV gemeinsam Lobbyarbeit betreibt, Projekte durchführt und sich, z. B. in Vernehmlassungen an der Ausgestaltung der nationalen Kinder- und Jugend­politik beteiligt. Des Weiteren gibt es inzwischen flächendeckend Kantonalverbände der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, welche als Mitgliederorganisationen den DOJ bilden.

Schweizweit gibt es keine gesetzlichen Grundlagen, welche die Gemeinden und Kantone dazu verpflichten, Kinder- und Jugendarbeit anzubieten. Ein wichtiger gesetzlicher Rahmen stellt jedoch das Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFG) dar, das seit Anfang 2013 in Kraft ist und das seit Ende der 1980er Jahre geltende Bundesgesetz über die Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit (JFG) abgelöst hat. Es strebt eine kohärente(re) Kinder- und Jugendpolitik an, indem der Bund der Kinder- und Jugendarbeit Finanzhilfen für Strukturen und Aktivitäten, für innovative Modellvorhaben von gesamtschweizerischer Bedeutung, für Beteiligungsprojekte und für Aus- und Weiterbildung von Leitungs- und Beratungsaufgaben zur Verfügung stellt.

Ein zentrales Merkmal der Kinder- und Jugendarbeit besteht darin, dass sich diese immer wieder an die sich stetig verändernden Lebenswelten, Themen und Bedürfnislagen der Heranwachsenden anpassen muss. In der Kinder- und Jugendverbandsarbeit stellen gegenwärtig insbesondere abnehmende Mitgliederzahlen, die finanzielle Unterstützung der Kinder- und Jugendverbände, Fragen der (interkulturellen) Öffnung aber auch die Zusammenarbeit mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bedeutsame Herausforderungen dar.

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz befindet sich in einem dynamischen Prozess des Ausbaus, der Strukturbildung und der Professionalisierung. Eine Herausforderung besteht aber darin, dass sie gleichzeitig erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit ausgesetzt ist und zunehmend gefordert ist, Qualität, Nutzen und Wirkungen ihrer Leistungen und Angebote nachzuweisen und öffentlich sichtbar zu machen. Dies erfordert u. a. neue geeignete Organisationsstrukturen und Finanzierungsmodelle als auch die Förderung der Kompetenzen der Mitarbeitenden hinsichtlich konzeptioneller Aufgaben.

Nicht zuletzt wären grundlegende empirische Forschungsdaten über das Handlungsfeld zu generieren, die z. B. Aufschluss über die angebotsnutzenden Kinder und Jugendlichen und über die Angebotsabdeckung geben als auch Hinweise auf aktuelle Entwicklungen und Bedarfslagen ermöglichen.

Literaturhinweise

Gerodetti, J. & Schnurr, S. (2013). Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz. In U. Deinet & B. Sturzenhecker (Hrsg.), Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit (S. 827–839). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Gretler Heusser, S. & Stade, P. (2014). Verbandsjugendarbeit in der Schweiz: Herausforderungen und Entwicklungen gestern, heute und morgen. Luzern: Interact.

Tironi, Y. (2015). Participation et citoyenneté des jeunes: la démocratie en jeu (préface de Stéphane Rossini). Lausanne: Haute école de travail social et de la santé EESP.

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