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Patienten- und Patientinnenrechte

Dominique Sprumont

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Im engeren Sinn werden die Patienten- und Patientinnenrechte als die Gesamtheit der Rechte definiert, die Patientinnen und Patienten in ihren Beziehungen zum Pflegepersonal zustehen. Im weiteren Sinne beziehen sie sich auf sämtliche Rechte von Personen in Bezug auf ihre Gesundheit.

Gemäss der erstgenannten Definition handelt es sich bei den Patienten- und Patientinnenrechten um die Umsetzung der Persönlichkeits- und Grundrechte in der Beziehung zwischen medizinischem Personal und Patientinnen bzw. Patienten. Diese Rechte etablierten sich seit den 1970er Jahren in der Rechtsprechung und fanden ab Mitte der 1980er Jahre Eingang in die kantonale Gesetzgebung. In den 2000er Jahren traten sie auch im Bundesrecht in zahlreichen spezifischen Gesetzen zum medizinischen Fortschritt in Erscheinung, etwa im Gesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung, dem Gesetz über die Organtransplantation, dem Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen oder dem Gesetz über die Forschung am Menschen. Zu den Patienten- und Patientinnenrechten gehören insbesondere das Recht auf Information, das Recht auf Einwilligung nach umfassender Aufklärung, das Recht auf Einsicht in das eigene Patientendossier, das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit, die freie Arztwahl, das Recht auf Zugang zur Pflege und das Recht auf Finanzierung der Grundversorgung.

Das Recht auf freie, ausdrückliche und aufgeklärte Einwilligung basiert auf dem Grundsatz, dass jede Person ein Recht auf Selbstbestimmung und ein Recht auf Achtung der körperlichen Integrität hat. Im Sinne dieser beiden Grundrechte ist es unzulässig, eine Person gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen medizinisch zu behandeln. Rechtlich bedeutet jeder medizinische Eingriff, jede Behandlung und jede Pflege potenziell eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Patientin bzw. des Patienten. Chirurgische Eingriffe stellen eine invasive Geste und somit einen Angriff auf die Integrität der operierten Personen dar. Bereits das Stellen von Fragen zur Gesundheit zwecks Aufnahme der Anamnese verletzt die Privatsphäre. Artikel 28 des Zivilgesetzbuchs hält fest: «Eine Verletzung [des Persönlichkeitsschutzes] ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.» Die Einwilligung der Patientinnen und Patienten dient somit als Rechtfertigungsgrund für die medizinische Handlung. Sie ist der Eckpfeiler der Beziehung zwischen gepflegter und pflegender Person.

Die Einwilligung ist nur dann gültig, wenn sie nach umfassender Aufklärung, das heisst aufgrund klarer und verständlicher Informationen, erfolgt. Patientinnen und Patienten müssen in der Lage sein, die Informationen zu verstehen und ihre Meinung dazu abzugeben. Es handelt sich in diesem Fall um urteilsfähige Patientinnen und Patienten.

Unter der Urteilsfähigkeit einer Person ist die Fähigkeit zu verstehen, vernünftig zu handeln, das heisst in der Lage zu sein, die Umstände zu verstehen, in denen sich die Person befindet, und sich entsprechend zu entscheiden, wobei die Person fähig sein muss, externem Druck im vernünftigen Rahmen zu widerstehen. Gemäss Artikel 16 des Zivilgesetzbuchs wird die Urteilsfähigkeit für alle Personen angenommen, deren Fähigkeit, vernünftig zu handeln, nicht durch eine im Gesetz aufgeführte Ursache (Kindesalter, geistige Behinderung, psychische Störung, Rausch oder ähnliche Zustände) beeinträchtigt wird. Grundsätzlich gilt die Urteilsfähigkeit für alle Personen ab dem Jugendalter. Das Bundesgericht hat 13-Jährigen die Urteilsfähigkeit zugesprochen, wobei diese allerdings von den Umständen abhängig ist. Fehlt die Urteilsfähigkeit, bestimmt das Gesetz, dass eine gesetzliche Vertretung oder im Falle von Minderjährigen die Eltern über die Behandlung zu entscheiden haben. Grundsätzlich dürfen Ärzte und Ärztinnen einzig in Notsituationen ohne die Einwilligung der betroffenen Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung handeln.

Ab den 1990er Jahren haben die Westschweizer Kantone das Recht auf Patientenverfügungen eingeführt, das heisst das Recht, schriftlich festzuhalten, welchen medizinischen Massnahmen eine Person, falls sie ihre Urteilsfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall verlieren sollte, zustimmt bzw. nicht zustimmt. Die Patientenverfügung ermöglicht es ausserdem, eine Vertrauensperson, eine sogenannte «therapeutische Vertretung» zu benennen, die anstelle der nicht mehr urteilsfähigen Person entscheidet. 2013 wurde die Patientenverfügung anlässlich der Überarbeitung des Abschnittes über den Erwachsenenschutz des Zivilgesetzbuchs auch ins Bundesrecht aufgenommen.

Bevor urteilsfähige Patientinnen und Patienten eine gültige Einwilligung abgeben können, müssen sie alle notwendigen Informationen erhalten, um sich ein Urteil bilden zu können über die Gründe für den Eingriff oder die Massnahme (Diagnose), die Folgen bei Nichtbehandlung, die möglichen alternativen Behandlungen, die mit jeder alternativen Behandlung verbundenen Vorteile, Risiken und Erfolgsaussichten (Prognose), die mit den verschiedenen Behandlungen verbundenen Umstände (Dauer, Blutentnahme, Medikamente, Spitalaufenthalt usw.) sowie die Kosten und deren Übernahme durch die Versicherung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss Patientinnen und Patienten zudem bei nicht-dringenden und elektiven Operationen mindestens 72 Stunden Zeit zwischen dem Erhalt der Informationen und dem Zeitpunkt des Eingriffs gegeben werden, um ihren Entscheid zu fällen. Wie umfangreich und detailliert die Informationen sein müssen, hängt von den Umständen ab, wobei grundsätzlich gilt: Je höher die Risiken, desto mehr Informationen sind erforderlich. Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Patientinnen und Patienten ihr Recht auf Selbstbestimmung und Achtung ihrer körperlichen Integrität in voller Kenntnis der Sachlage wirksam ausüben können.

Seit dem Hippokratischen Eid, der während Jahrhunderten die Grundlage der ärztlichen Ethik bildete, sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, alle Informationen über Patientinnen und Patienten, die sie in Ausübung ihres Berufs erfahren, geheim zu halten. Die ärztliche Schweigepflicht, die im Schweizer Recht in Artikel 321 des Strafgesetzbuchs verankert ist, verfolgt zwei Ziele: Zum einen bezweckt sie, die Privatsphäre der Patientinnen und Patienten zu schützen, indem die sehr intimen Informationen, die jemand gegenüber einer Gesundheitsfachperson offenbart, strikter Geheimhaltung unterstellt werden. Zum andern geht es darum, das Vertrauensverhältnis sicherzustellen, auf das Patientinnen und Patienten in ihrem Verhältnis zum medizinischen Personal zählen dürfen. Das Wissen, dass die dem behandelnden Personal anvertrauten Informationen streng vertraulich behandelt werden, ist die Conditio sine qua non, damit Patientinnen und Patienten sich offen ausdrücken können, was für die Diagnose und die Bestimmung der geeigneten Behandlung unerlässlich ist.

Die seit Ende der 1980er Jahre fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft hat die Möglichkeiten, grosse Mengen von Informationen zu verarbeiten und zu Persönlichkeitsprofilen zusammenzustellen, massiv erhöht. Diese Entwicklung stellt die Privatsphäre grundsätzlich infrage und hat die Schweiz und viele andere Länder, insbesondere in Europa, dazu bewogen, Datenschutzgesetze zu erlassen. Dieses Gesetz bietet zusätzlich zur ärztlichen Schweigepflicht weitergehenden Schutz, denn es beschränkt sich nicht nur darauf, die Offenlegung vertraulicher Informationen zu untersagen. Es regelt auch die Datenerhebung, die nur für bestimmte Zwecke und aus berechtigten Interessen erfolgen darf (Zweckbindungsgebot). Aus­serdem dürfen staatliche oder private Stellen, beispielsweise Zusatzversicherungen, Daten nur dann verarbeiten, wenn sie über die gesetzliche Ermächtigung dazu und die Einwilligung der betroffenen Personen verfügen, wobei die Verwendung von Daten nicht generell verboten werden soll, sondern ein kontrollierter Umgang damit angestrebt wird. Die Datenschutzgesetzgebung stellt zudem sicher, dass alle Personen erfahren können, welche Informationen über sie durch wen aufbewahrt werden (Transparenzgebot). Ferner regelt die Datenschutzgesetzgebung auch das Recht auf Zugang zu den Daten, auf deren Berichtigung und auf deren Vernichtung (Recht auf Vergessen).

Das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung und auf die Deckung der Kosten ist zwar in der Bundesverfassung verankert, doch hängt die Umsetzung von den verfügbaren Ressourcen und der Organisation des Gesundheitssystems ab. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) hat 1996 für alle in der Schweiz wohnhaften Personen das Versicherungsobligatorium gegen die Krankheitsrisiken eingeführt, um die Krankheitskosten zu decken. Ziel ist es, allen den Zugang zur Grundversorgung zu ermöglichen, ohne sich im Prinzip Sorgen um die Kosten machen zu müssen. Für Menschen in bescheidenen Verhältnissen bestehen Unterstützungsvorkehrungen, die die Krankenkassenprämien ganz oder teilweise übernehmen. Abgesehen von seiner unbestreitbar sozialen Dimension ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Schweiz im internationalen Vergleich eher zufriedenstellend, wobei allerdings das Ziel des KVG, die Kosten unter Kontrolle zu halten, nicht erreicht wurde und die Prämien weiter steigen. Dadurch werden die Haushalte, insbesondere der Mittelstand, immer stärker belastet.

Literaturhinweise

Manaï, D. (2013). Droits du patient face à la biomédecine (2e éd.). Berne: Stämpfli.

Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (2016). Die Patientenrechte im Überblick. Bern: Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern.

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