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Soziale Sicherheit von Kindern und Jugendlichen

Gabriela Riemer Kafka


Erstveröffentlicht: December 2020

Kinder und Jugendliche geniessen in der Sozialgesetzgebung, ausgehend von der Arbeiterschutzgesetzgebung des 19. Jh. und in Erfüllung internationaler und verfassungsmässiger Verpflichtungen, einen besonderen Schutz. Sowohl in Bezug auf ihre gesundheitliche und körperliche Entwicklung als ihre schulische und berufliche Entfaltung übernehmen die Sozialversicherungen, und auf kantonaler Ebene die Sozialhilfe, wichtige Aufgaben.

Sie sind alle der Alters-, Hinterlassenen-, Invaliden- und Krankenversicherung unterstellt, sofern die massgebenden versicherungsmässigen Voraussetzungen erfüllt sind, und kommen im Falle einer Notlage in den Genuss von kantonalen Sozialhilfeleistungen. Ist der Jugendliche erwerbstätig oder bezieht einen Lehrlings- oder Praktikantenlohn, besteht zudem ein unfallversicherungsrechtlicher sowie ein arbeitslosenversicherungsrechtlicher Schutz. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe ist er auch bei der beruflichen Vorsorge obligatorisch versichert. Im Weiteren werden in einzelnen Sozialversicherungszweigen Eltern, die eine Alters- oder Invalidenrente beziehen, Kinderrenten ausgerichtet.

Als Sachleistungen werden bei Krankheit, Unfall und leichteren Geburtsgebrechen medizinische Massnahmen (z. B. ambulante und stationäre Behandlung, Arzneimittel, verschiedene anerkannte therapeutische Massnahmen, Mittel und Gegenstände, Transport) in erster Linie durch die Krankenversicherung (KV) erstattet. Soweit ein Gesundheitsschaden durch ein schweres in der Liste der Geburtsgebrechen aufgeführtes Geburtsgebrechen bedingt ist oder es sich um eine zu stabilisierende Erkrankung mit Auswirkungen auf die berufliche Eingliederungsfähigkeit handelt, kommt die Invalidenversicherung (IV) bis zu einem bestimmten Alter (derzeit 20. Altersjahr) für die Heilbehandlung auf, anschliessend die KV. Handelt es sich um einen Unfall oder eine Berufskrankheit eines erwerbstätigen Jugendlichen, ist die Unfallversicherung (UV) als Arbeitnehmerversicherung zuständig. Während der Absolvierung der Dienstpflicht kommt die Militärversicherung für sämtliche durch Krankheit oder Unfall bedingten Heilungskosten auf.

Im Sinne von beruflichen Massnahmen unterstützt die IV Kinder und Jugendliche mit Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form von Begleitung bei der Integration ins Berufsleben und von Kostenübernahmen bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung oder Umschulung. Die Arbeitslosenversicherung gewährt jugendlichen Schulabgängern oder Arbeitslosen bei arbeitsmarktbedingter Arbeitslosigkeit arbeitsmarktliche Massnahmen (Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen) und übernimmt die Kosten für Kurse und Weiterbildung, nicht hingegen für fehlende Grund- oder Erst­ausbildung.

Anspruch auf Geldleistungen besteht, wenn Kinder gesundheitsbedingt in alltäglichen Lebensverrichtungen wie Ankleiden, Essen, Körperpflege, Fortbewegung und Pflege sozialer Kontakte gegenüber ihren Gleichaltrigen dauernd ein Mehr an Hilfe durch andere Personen benötigen. Je nach Grad der Hilflosigkeit (leicht, mittel, schwer) richtet die IV eine Hilflosenentschädigung aus, bei dauernder Pflege und/oder persönlicher Überwachung Minderjähriger zu Hause zusätzlich ein Intensivpflegezuschlag. Minderjährige Kinder in Ausbildung können unter gewissen Umständen auch einen Assistenzbeitrag beanspruchen. Während der Durchführung medizinischer oder beruflicher Eingliederungsmassnahmen der IV haben Versicherte frühestens ab dem ersten Tag des Monats, welcher der Vollendung des 18. Altersjahres folgt, Anspruch auf ein Taggeld, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise einbüssen. Taggelder werden auch ausgerichtet im Falle einer unfallbedingten (auch militärdienstbedingten) vollständigen oder teilweisen Arbeitsunfähigkeit, wobei bei Jugendlichen in Ausbildung die Festsetzung des massgebenden Lohnes abweichend von der üblichen Bemessung erfolgt.

Für Arbeitslosenentschädigungen gelten bei Jugendlichen nach der obligatorischen Schulzeit besondere Regeln, so bezüglich der Beitragszeit, die wegen einer Ausbildung nicht erfüllt werden kann. Bei Erfüllung einer zehnjährigen Wohnsitzdauer in der Schweiz, sind Jugendliche befreit von der Erfüllung der Beitragszeit, haben jedoch eine besondere Wartezeit von 120 Tagen hinzunehmen und die Entschädigung richtet sich je nach Ausbildungsniveau nach Pauschalansätzen. Die Maximalbezugsdauer beträgt 90 Tage.

Als Rentenleistungen werden Kindern, deren Vater oder Mutter gestorben ist, bis zur Mündigkeit oder bis zum Abschluss der Ausbildung, aber längstens bis zum vollendeten 25. Altersjahr, eine Waisenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), unter Umständen der beruflichen Vorsorge und bei Unfalltod von unselbstständigerwerbenden Eltern der UV ausgerichtet, sofern die Verstorbenen die Leistungsvoraussetzungen der massgebenden Gesetze erfüllten.

Invalidenrenten an Jugendliche werden nach dem Grundsatz «Eingliederung vor Rente» von der IV erst zugesprochen, wenn Eingliederungsmassnahmen abgeschlossen sind bzw. sich als unmöglich oder aussichtslos erweisen und ein Mindestinvaliditätsgrad von 40 % gegeben ist. Ein Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von 6 Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Geburtstags folgt. Da eine ordentliche Rente eine dreijährige Beitragszeit voraussetzt, können junge Invalide resp. Frühinvalide und solche mit Geburtsgebrechen lediglich eine ausserordentliche Rente beanspruchen. Die Wahl der Invaliditätsbemessungsmethode (Einkommensvergleich, Betätigungsvergleich) von Kindern und Jugendlichen, die noch nicht erwerbstätig waren, ist von deren Alter sowie von der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit abhängig und richtet sich danach, ob sie in Ausbildung begriffen sind oder gesundheitsbedingt keine zureichenden beruflichen Kenntnisse erwerben konnten.

Soweit die IV eine Invalidenrente ausrichtet, wird auch die berufliche Vorsorge leistungspflichtig, sofern ihr der Jugendliche als Arbeitnehmer mit entsprechend hohem Jahreslohn unterstellt ist. Jugendliche mit einem Geburtsgebrechen sowie invalide Minderjährige, welche bei Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung bereits teilweise arbeitsunfähig waren, sind trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen für die Verschlimmerung des Leidens vorsorgeversichert. Hinsichtlich der Berechnung der Rentenhöhe gibt es in der beruflichen Vorsorge keine Sonderregelung für Junginvalide, vielmehr wird entsprechend dem Kapitaldeckungsprinzip auf die effektiven Lohnverhältnisse abgestellt, sodass die Rentenhöhe entsprechend bescheiden ausfällt.

Ein Anspruch auf eine Invalidenrente der UV setzt voraus, dass eine unfallbedingte Invalidität von mindestens 10 % vorliegt, von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Verbesserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann und allfällige Eingliederungsmassnahmen der IV abgeschlossen sind. Bei Lehrlingen, Praktikanten, Assistenten und Volontären werden die Einkommen, welche für die Bemessung des Invaliditätsgrades und die Rentenhöhe massgebend sind, nach Sonderregelungen bestimmt. Die aufgrund eines Körperschadens erlittenen ideellen auf Lebensdauer gerichteten Einschränkungen werden in der UV mit einer Integritätsentschädigung, die abstrakt nach dem Grad der Beeinträchtigung (zwischen 5 und 100 %) festgesetzt wird, ausgeglichen.

Jugendliche mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die Leistungen der AHV und IV beziehen, können nach Vollendung des 18. Altersjahres auch Ergänzungsleistungen beantragen, wenn die jährlichen anrechenbaren Einnahmen die anerkannten Ausgaben nicht decken.

Literaturhinweise

iemer-Kafka, G. (2011). Soziale Sicherheit von Kindern und Jugendlichen: Ihre Rechte insbesondere gegenüber Arbeitgeber, Schule, Eltern, Sozialversicherungen, Sozialhilfe und Opferhilfe. Bern: Stämpfli.

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