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Sozialhilfe im Asylbereich

Margarita Sanchez-Mazas

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Im Asylbereich ist die Sozialhilfe oft so ausgestaltet, das sie abschreckend wirkt. So ist die Entscheidung, abgelehnten Asylsuchenden keine Sozialhilfe mehr zu gewähren, ein passendes Beispiel für eine Abschreckungspolitik, die zum Ziel hat, dass abgewiesene Personen die Ausreise von sich aus vorziehen. Die vom Bund im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 (EP 03) getroffene Entscheidung strebte eine Reduktion der Asylsuchenden um 10 000 Personen und Einsparungen von 137 Millionen Franken in drei Jahren an. Gleichzeitig wurden Personen, die einen Nichteintretensentscheid (NEE) erhalten hatten, aus dem Asylrecht ins normale Ausländerrecht überführt, sodass sie von der damals im Asylrecht vorgesehenen Sozialhilfe ausgeschlossen werden konnten. Diese am 24. März 2004 vom Bundesrat verabschiedete Änderung trat am 1. April 2004 in Kraft, und seit diesem Datum – noch vor der Revision des Asylgesetzes – erhalten von einem NEE betroffene Migrantinnen und Migranten keine Sozialhilfe mehr. Der Antrag des Bundesrates, die Abschaffung der Sozialhilfe auf alle abgelehnten Asylsuchenden auszudehnen, wurde am 24. September 2006 angenommen, als 67,8 % der Stimmberechtigten der 7. Asylrechtsrevision zustimmten, die am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist.

Seither stützt sich die materielle Hilfe für Asylsuchende ohne Bleiberecht auf Artikel 12 der Bundesverfassung, der das Recht auf Hilfe in einer Notlage postuliert. Auf dieser Rechtsgrundlage haben die Kantone Systeme für die Verwaltung und ein Monitoring der Nothilfe aufgebaut. Diese Systeme beschränken sich ausschliesslich auf die Unterstützung von Personen, die nicht zum Verbleib in der Schweiz berechtigt sind. Sie grenzen sich klar von der Sozialhilfe für Personen ab, die der regulären Wohnbevölkerung angehören. Die 2017 überarbeiteten SKOS-Richtlinien weisen die Nothilfe eindeutig dem Asylbereich zu und beschränken sie auf Asylsuchende mit Nichteintretensentscheid und rechtskräftiger Wegweisung (einschliesslich «Dublin-Fälle»), auf diejenigen, deren vorläufige Aufnahme aufgehoben wurde, sowie auf diejenigen, die ihr Bleiberecht nach Ausländerrecht (Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und deren Integration, AuIG) verloren haben.

Die Bereitstellung der Nothilfe ist eine kantonale Aufgabe. Die Kantone können diese Aufgabe an die Gemeinden oder an Hilfsorganisationen delegieren und erhalten vom Bund eine Entschädigung für ihre Kosten. Diese Übertragung von Zuständigkeiten vom Bund auf die Kantone und Gemeinden hat zu unterschiedlichen Praktiken und ungleicher Behandlung geführt. Die Leistungen werden in der Regel in Form von Sachleistungen erbracht und umfassen Lebensmittel, gebrauchte Kleidung und Hygieneartikel, die oft mittels eines Systems von Gutscheinen verteilt werden, was die Abhängigkeit der Betroffenen erhöht. Zur Nothilfe gehört auch die Unterkunft in Durchgangszentren, die sich oft weit von urbanen Zentren entfernt befinden und deren Führung sich ebenfalls stark von Kanton zu Kanton unterscheidet: In einigen Zentren gelten strenge Regeln mit Zutrittskontrollen, Anwesenheitspflicht und Besuchsverbot, gewisse Zentren sind selbst im Winter tagsüber geschlossen. Seit 2011 sind Asylsuchende mit Nothilfe obligatorisch einer Krankenversicherung angeschlossen. Um weiterhin Unterstützung zu erhalten, müssen sie sich regelmässig beim kantonalen Migrationsdienst melden (je nach Kanton alle 5 bis 15 Tage), wo sie in der Regel aufgefordert werden, das Land zu verlassen oder an ihrer Ausreise mitzuwirken.

Da gleichzeitig eine verfassungsmässige Verpflichtung besteht, Menschen in Not zu helfen, und es in vielen Fällen unmöglich ist, solche Personen auszuweisen, erstreckt sich die theo­retisch nur punktuell zu gewährende Nothilfe in der Realität oftmals über längere Zeiträume. Während die Nothilfe für die Migrantinnen und Migranten noch eine Grauzone geduldeter und kontrollierter Illegalität bedeutet, sind sie auf sich selbst gestellt, sobald sie untertauchen. In solchen Fällen verlängern die Betroffenen ihren illegalen Aufenthalt, indem sie Überlebensstrategien anwenden oder vereinzelt auf offizielle Dienste zurückgreifen, die nicht für Asylsuchende bestimmt sind. Wenn weder das Leben mit Nothilfe noch die Ausweisung möglich ist, verschwinden die Menschen in administrativer und sozialer Hinsicht, ohne das Land verlassen zu haben. Es handelt sich hier um ein eklatantes Beispiel für Prozesse, die Menschen solange unsichtbar machen, bis akute Not sie in Warteschlangen für Nahrungsmittelverteilungen zwängt, wie 2020 die Corona-Krise deutlich gezeigt hat.

Einzig die anerkannten Flüchtlinge haben, gestützt auf die Gleichbehandlung gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, Anspruch auf die gleichen Sozialhilfeleistungen wie Einheimische. Seit 1999 ist es Sache der Kantone, Sozialhilfe an Asylsuchende mit laufenden Verfahren, an vorläufig Aufgenommene und an besonders Schutzbedürftige auszurichten. Die gewährten Leistungen variieren je nach Kanton und rechtlicher Stellung der Betroffenen, wobei gleich wie bei der Nothilfe das Ziel darin besteht, die Attraktivität der Schweiz zu verringern. Dies spiegelt sich in der Höhe der Leistungen wider, die 40 bis 60 % unter der «normalen» Sozialhilfe liegen. Zudem herrscht ein Trend vor, die Sozialhilfe an die Nothilfe anzugleichen. Dies zeigt sich in den gesetzlichen Bestimmungen zur Beschleunigung der Asylverfahren, die am 5. Juni 2016 vom Volk angenommen wurden und die vorsehen, die Sozialhilfe möglichst in Form von Sachleistungen auszurichten. Diese Bestimmungen verschlechtern die Lebensbedingungen der Asylsuchenden und stehen im Zeichen der Abschreckungspolitik mit grundsätzlichem Arbeitsverbot, welche die Entwicklung der Sozialhilfe im Asylbereich prägt. Im Gegensatz zur Sozialhilfe für Einheimische und für anerkannte Flüchtlinge, welche die soziale und berufliche Wiedereingliederung der Betroffenen fördern soll, hat die Hilfe für Asylsuchende in erster Linie die Funktion, Kontrolle auszuüben und zur Ausreise aufzufordern. Zudem birgt die Abhängigkeit und Passivität, in die Menschen gezwungen werden, die sich in vielen Fällen durchaus selbst versorgen könnten, die Gefahr, dass sie keine Zukunftsperspektiven aufbauen können. Dies wirkt sich paradoxerweise negativ auf den Anreiz zur Ausreise aus, insbesondere auf die Attraktivität der Rückkehrhilfe, die die kantonalen Dienste und Hilfsorganisationen unter der Ägide des Staatssekretariats für Migration ausrichten.

Literaturhinweise

Bolzman, C. (2001). Politiques d’asile et trajectoires sociales des réfugiés: une exclusion programmée. Le cas de la Suisse. Sociologie et sociétés, 33(2), 133–158.

Lomba (da), S. (2006). The threat of destitution as a deterrent against asylum seeking in the European Union. Refuge, 23(1), 78–93.

Sanchez-Mazas, M., Effionayi-Mäder, D., Maggi, J., Achermann, C., Schaer, M., Roca i Escoda, M., Coumou-Stants, F. (2011). La construction de l’invisibilité: suppression de l’aide sociale dans le domaine de l’asile. Genève: ies.

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