Sozialhilferecht
Unter dem Sozialhilferecht versteht man jenen Rechtskörper des öffentlichen Rechts, der sich mit der Leistung von Sozialhilfe an Bedürftige befasst. Es hat sich eingebürgert, zwischen einem Sozialhilferecht im engeren und in einem Sozialhilferecht im weiteren Sinne zu unterscheiden. Im engeren Sinne werden damit jene Rechtsnormen bezeichnet, welche sich auf ein formelles Gesetz zur Sozialhilfe beziehen. Im weiteren Sinne werden zur Sozialhilfe dagegen alle bedarfsabhängigen, kantonalen oder kommunalen Leistungen gezählt, welche den Sozialversicherungsleistungen nachgelagert sind. Demnach gehören neben der Sozialhilfe im engeren Sinne beispielsweise Stipendien, Wohnkosten- oder Elternbeiträge mit dazu.
Entsprechend breit sind die Rechtserlasse, die in diesem Sinne zum Sozialhilferecht gerechnet werden können. Im engeren Sinne beschränkt sich das Sozialhilferecht weitgehend auf die kantonalen Sozialhilfegesetze, welche die öffentlich-rechtlichen Leistungen an Personen regeln, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten können und mithin als bedürftig gelten. Mit dazu gehören nationale und internationale Bestimmungen, welche sich mit der Unterstützung Bedürftiger befassen.
Das Sozialhilferecht hat bis vor wenigen Jahrzehnten geringe Aufmerksamkeit gefunden. Es gab nur wenige Publikationen. Die Rechtsprechung war nicht sehr umfangreich und kaum wissenschaftlich aufgearbeitet. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Die wachsenden Fallzahlen und Kosten in der Sozialhilfe stellten kommunale und kantonale Behörden vor besondere Herausforderungen. Hinzu kamen ideologische Auseinandersetzungen um Umfang und Ausgestaltung der Sozialhilfe, welche das öffentliche Interesse an der Materie erhöht haben. Damit geriet das Recht der Sozialhilfe ins Scheinwerferlicht. Sozialhilfegesetze wurden in dichter Folge revidiert. Auch die Rechtsprechung hat an Umfang gewonnen, das Bundesgericht aber auch die kantonalen Verwaltungsgerichte haben in entscheidenden Fragen Leitplanken gesetzt.
Die Sozialhilfe liegt primär in der Zuständigkeit der Kantone. Entsprechend sind es die kantonalen Sozialhilfegesetze, welche das Sozialhilferecht prägen. Es gibt, analog zur Zahl der Kantone, 26 davon. Trotz ihrer Vielfalt und gewisser Unterschiede stimmen sie in den für die Sozialhilfe massgeblichen Maximen überein. Allen ist gemeinsam, dass das eigentliche Ziel der Sozialhilfe die Existenzsicherung bedürftiger Personen ist. Unabhängig der Ursache, die zur Bedürftigkeit geführt hat, stipulieren die Gesetze einen Anspruch auf wirtschaftliche bzw. finanzielle Leistungen. Es gilt das Finalitätsprinzip. Alle Gesetze statuieren das Prinzip der Subsidiarität, wonach eigene Mittel, Sozialversicherungsleistungen und Beiträge Dritter der staatlichen Hilfe vorgehen. Was den Umfang der Leistungen betrifft, verweisen die meisten Gesetze in der einen oder anderen Form auf die Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS Richtlinien). Dieser Verband, dem Kantone, Städte, Gemeinden und Kantone angehören, erarbeitet seit fünfzig Jahren die Standards für die Praxis, welche von der Konferenz der Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren verabschiedet und den meisten Kantonen übernommen werden. Alle Gesetze betonen im Weiteren die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Integration als ein wesentliches Element der Sozialhilfe und beschreiben mehr oder weniger ausführlich, wie diese anzustreben sei. Die Sozialhilfegesetze äussern sich schliesslich zur Organisation und Finanzierung der Sozialhilfe im jeweiligen Kanton, wobei die Palette, mit zahlreichen Mischformen, von der Kommunalisierung zur Kantonalisierung reicht. Als Spezialgesetze des öffentlichen Verwaltungsrechts enthalten sie überdies Verfahrensvorschriften, die sich je nach Kanton unterscheiden. Zudem beschreiben sie den Rechtsweg, der heute letztinstanzlich zu den kantonalen Verwaltungsgerichten führt. In formaler Hinsicht bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den Gesetzen, die manchmal ausschliesslich die Sozialhilfe, in anderen Fällen in Kombination zusätzliche Aufgabenbereiche wie die Prävention, die Jugend- oder Behindertenhilfe regeln.
Obwohl das Sozialhilferecht grundsätzlich in die Kompetenz der Kantone gehört, haben Erlasse des Bundes in verschiedener Hinsicht Einfluss auf das Sozialhilferecht. Allen voran die Bundesverfassung. Sie enthält zum einen in Artikel 115 der Bundesverfassung eine kollisionsrechtliche Norm, welche die Zuständigkeiten festlegt. Sie dient als verfassungsmässige Grundlage für das Bundesgesetz über die Zuständigkeit zur Unterstützung Bedürftiger (ZUG). Zum andern haben die Grundrechtsbestimmungen für die Sozialhilfe besondere Bedeutung. Da das Sozialhilferecht in seiner Anwendung vielfach mit Eingriffen in die Grundrechte zu tun hat, sind die verfassungsrechtlichen Schranken für solche Eingriffe relevant. Fragen nach der Verhältnismässigkeit behördlicher Verfügungen, Auflagen und Weisungen, der Rechtmässigkeit von Leistungsverweigerungen und Leistungseinstellungen oder der Zulässigkeit von Sanktionen gaben in den letzten Jahren Anlass zu zahlreichen öffentlichen Kontroversen um die Sozialhilfe. Rechtsprechung und Literatur haben in den letzten Jahren einiges zur Rechtsentwicklung beigetragen. Immer wieder galt es auch, das Gebot des rechtlichen Gehörs und weiterer verfassungsmässige Verfahrensrechte in Erinnerung zu rufen, welche in einer bis vor kurzem juristisch noch wenig durchdrungenen Verwaltungspraxis unzureichend Beachtung fanden.
Eine besondere Stellung unter den Grundrechten nimmt Artikel 12 der Bundesverfassung mit dem Recht auf Hilfe in Notlagen ein. Er enthält gewissermassen den Kerngedanken der Sozialhilfe, denn er sichert allen, die in eine Notlage geraten und nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen, einen Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel zu, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Er verweist damit auf den Kern aller Grundrechte, die Menschenwürde. Diese zentrale Bestimmung gewährt Menschen in Not minimale Leistungen, die nicht unterschritten werden dürfen, und setzt dem Entzug oder der Verweigerung von Leistungen enge Grenzen. Im Zusammenhang mit den virulenten politischen Auseinandersetzungen um den so genannten Sozialhilfemissbrauch oder um renitentes Verhalten von Leistungsbezügerinnen und -bezügern ist sie von besonderer Relevanz.
Die Sozialhilfe, herausgewachsen aus der früheren Armenpflege, kann als das älteste öffentlich-rechtliche, sozialpolitische Instrument gelten. Entsprechend basiert sie auf einem Patchwork an rechtlichen Bestimmungen, die in ihrer Gesamtheit zum Korpus des Sozialhilferechts zählen. Dazu gehören beispielsweise auch Bestimmungen aus dem Zivilgesetzbuch, welche die familienrechtlichen Unterstützungspflichten oder die Verwandtenunterstützung regeln. Auch die in der Praxis bedeutsame Inkassohilfe und Bevorschussung von Alimenten findet sich dort. Historische gesehen hat sich das Sozialhilferecht massgeblich über Konkordate, also interkantonale Vereinbarungen, entwickelt. Auch heute noch spielen sie eine Rolle, so beispielsweise die interkantonale Vereinbarung für soziale Einrichtungen, welche die Platzierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen regelt.
Mit zu diesem Patchwork gehören weiter bundesrechtliche Bestimmungen, welche die Sozialhilfe an besondere Personengruppen regeln, so etwa das Bundesgesetz über Schweizer Personen und Institutionen im Ausland oder das Asylgesetz. Letzteres hat in den vergangenen dreissig Jahren wegen der wachsenden Zahl der LeistungsbezügerInnen und der finanziellen Aufwendungen enorm an Bedeutung gewonnen und blieb nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der Sozialhilfe generell. Mit der zunehmenden internationalen Verflechtung der Lebenswelten seien auch die internationalrechtlichen Grundlagen für die Unterstützung bedürftiger Personen, namentlich im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit erwähnt, die vermehrt Beachtung finden. Trotz zahlreicher bundesrechtlicher Normen bleibt das Sozialhilferecht stark vom Föderalismus geprägt. Es darf zudem als schweizerische Besonderheit gelten, dass bislang weder Gesetzgeber noch Gerichte auf nationaler Ebene die Höhe des Existenzminimums rechtlich verbindlich festgelegt haben.
Literaturhinweise
Häfeli, C. (Hrsg.). (2008). Das Schweizerische Sozialhilferecht: Rechtsgrundlagen und Rechtsprechung. Luzern: Interact.
Hänzi, C. (2011). Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe: Entwicklung, Bedeutung und Umsetzung der Richtlinien in den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz. Basel: Helbing Lichtenhahn.
Wizent, G. (2014). Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit: Ein Handbuch. Zürich: Dike.