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Staatsausgaben

Spartaco Greppi

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Staatsausgaben umfassen die gesamten Ausgaben der öffentlichen Hand. Um internationale Vergleiche zu ermöglichen, erheben die Schweizer Behörden ihre Daten nach den Normen des Internationalen Währungsfonds (IWF), die im GFS-Modell (Government Finance Statistics) festgehalten sind. Gemäss diesem Standard der Finanzstatistik besteht die öffentliche Hand der Schweiz aus dem Bund, den Kantonen, den Gemeinden und den obligatorischen Sozialversicherungen (Alters- und Hinterlassenenversicherung, Invalidenversicherung, Erwerbsersatzordnung, Arbeitslosenversicherung, Familienzulagen in der Landwirtschaft, Mutterschaftsversicherung des Kantons Genf). Der Standard legt auch fest, was genau zu den Staatsausgaben zählt: Es handelt sich um die Summe aller Aufwände und Nettozugänge von Vermögensgütern. Finanziert werden diese Ausgaben durch die Steuereinnahmen, die obligatorischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge und durch das Staats­defizit.

Die Staatsausgaben lassen sich buchhalterisch nach ihrer wirtschaftlichen Art oder ihrem funktionalen Zweck klassifizieren. In wirtschaftlicher Sicht stehen den Verwaltungsausgaben, wie Personalausgaben und Transfers an Haushalte, die Investitionsausgaben gegenüber, die dazu dienen, die produktiven Kapazitäten des Staates zu erhalten oder auszubauen. Die Unterteilung der Staatsausgaben nach Funktion unterscheidet zwischen den Hauptzielen der öffentlichen Hand wie Verteidigung, Bildung, Kultur, Gesundheit, soziale Sicherheit und Umweltschutz. Die Staatsausgaben erfüllen im Wesentlichen drei Funktionen: die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die als wesentlich für die Gemeinschaft beurteilt werden; die Umverteilung, um Ungleichheiten zu verringern und eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen zu erreichen; und die Verminderung der zyklischen Konjunkturschwankungen mittels der Haushalts- und der Geldpolitik.

Im Zuge der Stärkung des Keynesianismus spielten die Staatsausgaben in der Nachkriegszeit eine immer wichtigere wirtschaftspolitische Rolle. Die auf dem Ökonomen John Maynard Keynes beruhende Wirtschaftstheorie sprach sich dafür aus, dass die öffentliche Hand, insbesondere zugunsten der Schaffung von Arbeitsplätzen, in das wirtschaftliche Geschehen eingreifen sollte. Doch derartige Eingriffe allein vermögen nicht das absolute und relative Wachstum der Staatsausgaben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu erklären. Bereits Ende des 19. Jh. formulierte der deutsche Ökonom Adolph Wagner das «Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit». Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung steigen die Staatsausgaben laut dem Wagner’schen Gesetz schneller an als die volkswirtschaftliche Produktion. Dieser Anstieg ist vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen: Urbanisierung und Bevölkerungswachstum erfordern höher entwickelte Formen des gesellschaftlichen Lebens; der Anstieg des Lebensstandards vergrös­sert den Bedarf an hochwertigen öffentlichen Gütern (wie Bildung, Gesundheit oder Kultur), und deren Nachfrage wächst schneller als das Pro-Kopf-Einkommen; und mit fortschreitender Industrialisierung steigt der Finanzbedarf für Infrastrukturinvestitionen. Die Autoren der Neuen Politischen Ökonomie (im Englischen Public Choice), einer Mitte des 20. Jh. in den Vereinigten Staaten entstandenen Denkschule, gehen davon aus, dass das Wachstum der Staatsausgaben von drei Typen von Faktoren bestimmt wird: politische Faktoren, da Regierungen vor den Wahlen dazu tendieren, Sozialtransfers und öffentliche Investitionen zu erhöhen, um die Gunst der Wählerschaft zu gewinnen; soziale Faktoren, die eine Senkung der Staatsausgaben erschweren; und institutionelle Faktoren, weil die Verwaltungen während der Budgetbildung dazu neigen, eine Erhöhung der Ressourcen zu fordern, um ihr Ansehen und ihre Position zu verbessern. Andere Autoren erklären den Anstieg der Staatsausgaben damit, dass die Kosten von Dienstleistungen im öffentlichen Sektor tendenziell stärker steigen als im privaten, insbesondere weil diese Dienstleistungen nur in beschränktem Mass vom technischen Fortschritt profitieren ­können.

Das Wachstum der Staatsausgaben und Haushaltsdefizite in der Nachkriegszeit führte zu einer Wiederbelebung des liberalen Gedankenguts, das ab Ende der 1970er Jahre die Regeln des frei spielenden Markts in den Vordergrund stellte. Seither haben die meisten Länder den Ausgaben und der Verschuldung der öffentlichen Hand Schranken gesetzt, die Privatisierung bestimmter bisher mit dem Staat verbundener Sektoren vorangetrieben und neue Organisationsformen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen eingeführt, die sich an den Grundsätzen der Wirkungsorientierten Verwaltungsführung (New Public Management) und der öffentlichen Regierungsführung (governance) orientieren.

Der Anteil der Staatsausgaben am BIP lag 2014 in der Schweiz bei rund 33 %, was unter den OECD-Staaten einen der niedrigsten Werte darstellt. Im schweizerischen Bundesstaat verteilen sich die Staatsausgaben auf die drei Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden gemäss dem Rahmen, den die Verfassung von 1999 vorgibt. Seit 2008 herrscht eine neue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie eine vertikale (vom Bund zu den Kantonen) und horizontale (zwischen den Kantonen) Solidarität durch den Finanzausgleich. Dies veränderte auch die finanziellen Beziehungen zwischen Kantonen und Gemeinden. Im Jahr 2008 trat zudem die Neue Regionalpolitik (NRP) in Kraft, die die Innovationsfähigkeit und die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit des Berggebiets, des weiteren ländlichen Raums und der Grenzregionen stärken soll.

Der Anteil der von der öffentlichen Hand Beschäftigten an der Gesamtzahl der Arbeitskräfte ist in der Schweiz im internationalen Vergleich ebenfalls gering. Zu beachten ist allerdings, dass der Staat in den letzten Jahrzehnten viele neue Arbeitsplätze vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales und Kultur geschaffen hat. Der geringe Anteil des öffentlichen Sektors erklärt sich dadurch, dass erste Kantone seit den 1990er Jahren und der Bund seit 2003 der Schuldenbremse und weiteren Budgetregeln unterliegen, die den Anstieg der Staatsausgaben und des Defizits verhindern, wie dies unter anderem von der OECD bestätigt wird. Die Staatsverschuldung ist im internationalen Vergleich nach wie vor niedrig und liegt deutlich unterhalb der im Euroraum festgelegten Schuldenquote von 60 %.

Forderungen, die Konjunktur anzukurbeln, um die Wirtschaftskrise zu überwinden, spielen heute eine wichtige Rolle in der Debatte über die Staatsausgaben. Das Dilemma besteht zwischen einer rigorosen Finanzpolitik – oder Austeritätspolitik – einerseits und einer über Defizite finanzierten Erhöhung der Staatsausgaben andererseits. Die Austeritätspolitik kann durch Senkung der Ausgaben, Erhöhung der Steuern oder eine Kombination von beidem erfolgen. In vielen Fällen zielen die Kräfte, die die Austerität umsetzen, allerdings nicht nur auf eine Senkung der Ausgaben, sondern auch der Steuern, und häufig erfolgt die Steuersenkung zuerst, was Ausgabenkürzungen angesichts fallender Steuereinnahmen unvermeidlich macht. Zudem führt eine derartige Politik der leeren Kassen und des «armen» Staats dazu, dass Kredite auf den privaten Kapitalmärkten aufgenommen werden müssen. In der aktuellen Debatte wird oft übersehen, dass Verschuldung nicht grundsätzlich schlecht ist, schon gar nicht in einer Zeit negativer Zinssätze, vorausgesetzt, die Schulden werden zur Finanzierung von Investitionen verwendet (die der Gemeinschaft in der Regel Vorteile bringen, beispielsweise bessere Möglichkeiten, die Herausforderungen der Digitalisierung und der globalisierten Wirtschaft zu meistern). Im Gegensatz zu den privaten Haushalten, die ihre Schulden innerhalb einer bestimmten Frist zurückzahlen müssen, kann der Staat verschuldet bleiben, solange er nachweist, dass er seine Schulden bedienen kann. Zudem belastet die Staatsverschuldung nicht notwendigerweise künftige Generationen, da diese nicht nur die Schulden, sondern auch die entsprechenden Vermögenswerte erben. Denn schliesslich gibt es nur eine einzige Möglichkeit, wie sich die heutige Generation auf Kosten ihrer Nachkommen verschulden kann: Wenn mehr Schulden als Guthaben gegenüber dem Ausland aufgehäuft werden, beispielsweise durch mehr Importe als Exporte von Waren und Dienstleistungen, müssen künftige Generationen die Rechnung zahlen. Dies trifft jedoch nicht auf die Schweiz zu, die regelmässig einen Leistungsbilanzüberschuss aufweist.

Literaturhinweise

Dafflon, B. (2014). Le fédéralisme financier suisse: état des lieux et réformes récentes. Dans M. Leroy & G. Orsoni (Éd.), Le financement des politiques publiques (pp. 605–654). Bruxelles: Bruylant.

Guex, S. (1998). L’argent et l’État: parcours des finances publiques au XXe siècle. Lausanne: Réalités sociales.

Eidgenössisches Finanzdepartement (Hrsg.) (2004). Finanzpolitik von A-Z: Grundbegriffe der Finanzpolitik, Finanzplatzpolitik, Finanzmarktaufsicht. Bern: Eidgenössisches Finanzdepartement.

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