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Suchtprävention

Irene Abderhalden


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Suchtprävention zielt je nach Substanz, Suchtproblematik und Zielgruppe auf den Nicht-Einstieg in einen Konsum oder auf die Vorbeugung eines frühzeitigen Beginns des Konsums, eines übermässigen Konsums, negativer Auswirkungen des Konsums, eines chronischen Risikokonsums oder einer Abhängigkeit. Diese Ziele gelten sowohl für die Prävention von Problemen, die in Zusammenhang mit einer psychoaktiven Substanz stehen, wie auch von solchen, die in Zusammenhang mit bestimmten Verhaltensweisen auftreten können (Internetnutzung, Geldspiele usw.).

Es wird zwischen universeller, selektiver und indizierter Prävention unterschieden. Die universelle Prävention wendet sich an die gesamte Bevölkerung bzw. Bevölkerungssegmente (z. B. alle Menschen im Pensionsalter). Sie macht dann Sinn, wenn die Risiken in einer Gruppe breit gestreut sind. In diese Kategorie fallen zum Beispiel gesetzliche Massnahmen, massenmediale Kampagnen oder die Arbeit mit Schulklassen. Die selektive Prävention richtet sich an definierte Risikogruppen, die in der Regel gesund und unauffällig sind, jedoch aufgrund empirisch bestätigter Risikofaktoren eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Sucht­entwicklung aufweisen (z. B. bei Kindern aus suchtbelasteten Familien). Indizierte Prävention richtet sich an Personen mit manifestem Risikoverhalten, bei denen die diagnostischen Kriterien der Abhängigkeit jedoch (noch) nicht erfüllt sind (z. B. junge Erwachsene mit exzessivem Alkoholkonsum an Wochenenden). Selektive und indizierte Strategien sind aufwändig und komplex in der Umsetzung und bisher in der Schweiz noch wenig entwickelt und erforscht.

Probleme mit psychoaktiven Substanzen können in einem Dreieck von Substanz, Individuum und Gesellschaft/Umwelt verortet werden. Ziel der Suchtprävention ist, im Kontext dieser Trias, Risikofaktoren (z. B. belastetes familiäres Umfeld) zu reduzieren sowie Schutzfaktoren (z. B. Selbstvertrauen) zu stärken. Den meisten Suchtproblemen liegen zahlreiche Risiko- und Schutzfaktoren zu Grunde, was präventives Handeln komplex macht. Je nach Bedarf und Wirksamkeit setzen Präventionsmassnahmen auf allen drei Ebenen an. Interventionen, welche darauf abzielen, das Wissen, die Einstellung, die Motivation und das Verhalten eines Individuums bzw. einer bestimmten Zielgruppe zu beeinflussen, gelten der sogenannten Verhaltensprävention. In Abgrenzung dazu setzen Massnahmen der Verhältnisprävention bei den strukturellen Rahmenbedingungen an, mit dem Ziel, die Risiken in den Lebens-, Arbeits- und Umweltverhältnissen zu reduzieren und entsprechende Schutzfaktoren zu stärken.

In der Prävention der legalen Suchmittel sowie beim Geldspiel zählen gesetzliche Regulierungen mit dem Ziel der Verringerung der Verfügbarkeit sowie der Nachfrage zu den wirksamsten Ansätzen mit breiter Wirkung. Als besonders effektiv und kostengünstig gelten preisliche Massnahmen wie beispielsweise Regulierungen von Billigstangeboten, welche vor allem das Konsumverhalten von Jugendlichen sowie von Personen, welche häufig und viel konsumieren, beeinflussen. Eine weitere Möglichkeit zur Reduktion der Nachfrage besteht in der Einschränkung der Suchtmittelwerbung, einschliesslich Ersatzwerbestrategien wie das Sponsoring von Sport- und Kulturereignissen. Betreffend Einschränkung der Verfügbarkeit zählen bspw. die Durchsetzung von Jugendschutzbestimmungen sowie die Reduktion der Verkaufszeiten von Alkohol oder vollständige oder teilweise Verkaufsverbote bei Sport- und Freizeitveranstaltungen zu den evidenzbasierten wirksamen Massnahmen. Im europäischen Vergleich befindet sich die Schweiz diesbezüglich im Mittelfeld: Vor allem in den Bereichen Verkaufseinschränkungen und Steuern (keine Steuer auf Wein, nur geringe Besteuerung des Biers) besteht erhebliches Verbesserungspotenzial.

Zusätzlich zu diesen universellen Zugängen ist es wichtig, auch zielgruppenspezifische Massnahmen zu entwickeln, denn Bevölkerungsgruppen wie Jugendliche stellen keine homogene Gruppe dar, sondern unterscheiden sich in ihren Erfahrungen und ihrer Gefährdung bezüglich Suchtmittelkonsum und anderem Risikoverhalten erheblich. So lässt sich das Verhalten von Jugendlichen mit überdurchschnittlichem Risikoverhalten nur begrenzt alleine durch strukturelle Massnahmen beeinflussen. Diese sollten durch entsprechende verhaltens­präventive Ansätze ergänzt werden, etwa im Kontext der Familie oder der Schule, wo für die Prävention das Erlernen von Grundkompetenzen (z. B. Gesundheitsförderung, Konflikt- und Beziehungsfähigkeit) von besonderer Bedeutung ist. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass die Wirkung umso grösser ist, je umfassender die Suchtprävention angelegt ist: So zeigen Projekte, die sowohl die Schule wie auch die Familie und den sozialen Nahraum involvieren, die vielversprechendsten Ergebnisse.

In der Schweiz engagieren sich auf kantonaler und regionaler Ebene zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Akteure in der Suchtprävention. Die föderale Struktur der schweizerischen Suchtprävention (wie der Suchthilfe insgesamt) hat zu einer Vielfalt von präventiven Massnahmen und -projekten geführt. Sie tragen einerseits den unterschiedlichen kommunalen und kantonalen Bedürfnissen Rechnung, sind andererseits aber oft wenig aufeinander abgestimmt. Auf nationaler Ebene wurde seit den 1990er Jahren mit der Entwicklung und Umsetzung von nationalen Programmen, wie dem nationalen Programm Alkohol, dem Programm Tabak oder dem Massnahmenpaket des Bundes zur Verminderung der Drogenprobleme, versucht, entsprechende Rahmenbedingungen für die Koordination und Kooperation zu schaffen. Weiter engagiert sich der Bund im Bereich der Forschung und der Finanzierung von suchtpräventiven Modellprojekten.

Es liegen mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Evidenzen zur Wirksamkeit der Suchtprävention vor (wenn auch noch wenige aus der Schweiz selber). Eine Herausforderung besteht darin, dass sich die Prioritäten des suchtpolitischen Handelns in der Schweiz weder primär an der vorliegenden Forschungslage noch an der eigentlichen Problemlast orientieren. So erschweren starke wirtschaftliche Interessen die politische Umsetzbarkeit von erwiesenermassen wirksamen strukturellen präventiven Massnahmen, wie dies bspw. das Scheitern der Revision des Alkoholgesetzes 2015 deutlich zum Vorschein brachte. Entgegen dem Willen des Bundesrats wurde unter starkem Druck der Alkoholindustrie letztlich auf fast alle wirksamen präventive wie bspw. preisliche Massnahmen verzichtet.

Damit verbunden ist der gegenwärtige politische Trend, welcher die Eigenverantwortung der Konsumierenden ins Zentrum stellt, während die Verantwortung der Gesellschaft und Politik trotz zunehmender Deregulierung des Marktes in den Hintergrund tritt. Diese isolierte Betrachtungsweise müsste erweitert und Suchtprävention verstärkt als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, für welche sämtliche Akteure, die Konsumierenden, der Staat wie auch die Wirtschaft Verantwortung tragen. Vor diesem Hintergrund muss auch weiterhin am Ziel festgehalten werden, die nach wie vor grossen Ungleichheiten beim Zugang zu Präventionsangeboten zu verringern und die Chancengleichheit in Bezug auf Gesundheit zu verbessern, wie dies nun in den neuen Strategien des Bundesrates, der Strategie «Gesundheit 2020», der nationalen Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheit sowie der Strategie Sucht festgehalten ist. Weiter ist diesen Strategien gemeinsam, dass sie die Prävention und Gesundheitsvorsorge in der Schweiz stärken sowie diese vermehrt themenübergreifend ausrichten wollen. Haben sich die Suchtpräventionsprogramme sowie die nationale Suchtpolitik des Bundes in den vergangenen Jahren vornehmlich auf die drei Bereiche Alkohol, Tabak und illegale Drogen konzentriert, die untereinander bisher wenig Berührungspunkte aufwiesen, sollen zukünftig Präventionsprogramme bei deren Umsetzung verstärkt mehrere Risikofaktoren, Suchtaspekte sowie Aspekte der psychischen Gesundheit berücksichtigen.

Literaturhinweise

Bühler, A. & Thrul, J. (2013). Expertise zur Suchtprävention. Köln: Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.

Bundesrat (2015). Nationale Strategie und Massnahmenplan Sucht 2017–2024. Bern: Bundesamt für Gesundheit.

Sucht Schweiz. https://www.suchtschweiz.ch/

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