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Tertiärbildung

Stefan Denzler


Erstveröffentlicht: December 2020

Bildung auf der Tertiärstufe umfasst einerseits die Ausbildungen an universitären Hochschulen (UH) – zu denen auch die Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) zählen –, an Fachhochschulen (FH) sowie an pädagogischen Hochschulen (PH) und andererseits die Ausbildungen an höheren Fachschulen (HF) und jene, die auf höhere Fach- und Berufsprüfungen vorbereiten. Zum Hochschulsystem im engeren Sinn zählen universitäre, Fach- und pädagogische Hochschulen, die zusammen knapp 80 % aller Tertiärstudierenden vereinigen. Davon entfallen 60 % auf die universitären Hochschulen, gut 30 % auf die Fachhochschulen und knapp 10 % auf die pädagogischen Hochschulen. Alle drei Hochschultypen verleihen akademische Titel (Bachelor und Master sowie im Fall der UH auch das Doktorat). Die zur höheren Berufsbildung zählenden höheren Fachschulen sowie die höheren Fach- und Berufsprüfungen stellen kürzere, beruflich ausgerichtete Bildungsgänge dar, welche zu einem eidgenössisch anerkannten Fachausweis resp. Diplom führen.

Modernisierungsprozesse und technologischer Fortschritt haben die Nachfrage nach höherer Bildung stark ansteigen lassen. In der Schweiz beträgt die Tertiärquote (inkl. höhere Berufsbildung) unter der jüngeren Generation (25- bis 34-Jährige) mittlerweile knapp 50 % (die Hochschulquote beträgt knapp 30 %). Damit liegt die Schweiz im internationalen Vergleich zusammen mit Kanada, USA, Grossbritannien und den skandinavischen Ländern an der Spitze. Die Differenzierung des Tertiärsystems in ein Hochschulsektor mit Universitäten und Fachhochschulen sowie in einen Sektor der höheren Berufsbildung hält auch für Personen mit dualer Ausbildung viele weitere Bildungsoptionen bereit. Dieser institutionelle Kontext erklärt, warum die Schweiz mit einer im internationalen Vergleich eher tiefen Gymnasialquote gesamthaft gesehen eine hohe Tertiärquote erzielt.

Der Trend zur fortschreitenden Tertiarisierung lässt sich in den meisten Staaten der OECD beobachten. Diese Entwicklung wird zum einen als Antwort auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes nach höher qualifizierten Arbeitskräften interpretiert, zum anderen aber auch als Resultat einer dem Bildungssystem inhärenten Dynamik zu immer höher positionierten Abschlüssen.

Die Ausdifferenzierung des Hochschulsystems hat in der Schweiz erst relativ spät stattgefunden. 1995 wurden in einem grossangelegten Reformprozess auf der Basis des neuen Fachhochschulgesetzes (FHSG) Schulen der höheren Berufsbildung auf die Tertiärstufe transferiert und zu regionalen Fachhochschulen zusammengefasst, die zugleich auch mit einem Forschungsauftrag ausgestattet wurden. Auslöser dieser Entwicklung war zum einen die Angst, im Ausland mit den Abschlüssen der höheren Berufsbildung nicht mehr die nötige Anerkennung zu erhalten, und zum anderen die Überzeugung, mit der Schaffung berufsnaher Fachhochschulen dem auf dem Arbeitsmarkt drohenden Mangel an hochqualifizierten Fachkräften entgegenwirken zu können. Die Entwicklung der Fachhochschulen, die hauptsächlich innerhalb des Sektors der Berufsbildung stattfand und von diesen Kreisen wesentlich geprägt wurde, hat schliesslich zu der bis heute erhaltenen binären Struktur des Hochschulsystems geführt, in der die Fachhochschulen in Bezug auf Forschungsauftrag, gegenseitige Anerkennung oder akademische Titel der ersten zwei Studienstufen zwar den Universitäten formal gleichgestellt sind, hinsichtlich des sozialen Status und der Reputation den Universitäten aber nicht ebenbürtig sind.

In einem zweiten Schritt kamen 2005 mit der Teilrevision des FHSG auch die Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst unter Bundeskompetenz und wurden in die Fachhochschulen integriert, so auch der Fachbereich Soziale Arbeit, der heute an Fachhochschulen, an der Universität Freiburg und an höheren Fachschulen gelehrt wird. Die pädagogischen Hochschulen wurden Ende der 1990er Jahre analog zu den Fachhochschulen, jedoch in ausschliesslicher Kompetenz der Kantone als neue Hochschulen für die Ausbildung der Volksschullehrkräfte gegründet. Dabei wurden eine Vielzahl kleinerer, lokal verankerter Lehrerseminare in die neu geschaffenen Hochschulen übergeführt. Formal sind die PH dem Fachhochschulsektor zugewiesen; faktisch werden sie allerdings als eigene, dritte Kategorie von Hochschulen behandelt.

Basierend auf dem neuen Verfassungsartikel, der Bund und Kantone zur gemeinsamen Verantwortung für die Qualität und die Durchlässigkeit des Bildungsraums und zur Zusammenarbeit im Hochschulbereich verpflichtet, wurde 2011 das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG) als rechtlicher Rahmen der neuen Hochschulgovernance geschaffen. Das 2015 in Kraft getretene Gesetz regelt Ziele und Grundsätze der gemeinsam wahrgenommenen Koordinationsaufgaben und schafft damit einen gesamtheitlichen Hochschulbereich, in dem für alle Hochschultypen erstmals gemeinsame Kriterien (bspw. Referenzkosten für die Grundfinanzierung sowie Beitragssätze des Bundes) gelten, zugleich aber an der Unterschiedlichkeit der Profile festgehalten wird (bspw. unterschiedliche Zugänge, Studiengestaltung oder Abschlüsse). Auf der Grundlage des HFKG sowie des interkantonalen Hochschulkonkordats haben Bund und Kantone ihre Zusammenarbeit geregelt und als neue gemeinsame hochschulpolitische Organe die Schweizerische Hochschulkonferenz, die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen (mit je einer Kammer für die UH, die FH und die PH) sowie den Schweizerischen Akkreditierungsrat geschaffen.

Mit der Einrichtung von Fachmaturitäts- und Berufsmaturitätsschulen wurden die auf ein Hochschulstudium vorbereitenden Ausbildungen vielfältiger. Der Übergang ins Hochschulsystem wurde mit der Berufsmaturität insbesondere für AbsolventenInnen einer beruflichen Grundbildung erleichtert. So stellt heute die Berufsmaturität den Regelzugang an die Fachhochschulen, die gymnasiale Maturität den prüfungsfreien Zugang an die universitären Hochschulen dar. Via die Ergänzungsprüfung «Passerelle Berufsmaturität – universitäre Hochschule» gelangt ein kleiner Teil von BerufsmaturandenInnen an die Universität. Umgekehrt beginnt ein Teil von gymnasialen MaturandenInnen nach einem Betriebspraktikum eine Ausbildung an einer Fachhochschule. Diese institutionellen Neuerungen haben das Hochschulsystem zwar insgesamt durchlässiger gemacht; der Anteil an Studierenden, die mit alternativem Zugang an eine universitäre Hochschule gelangen, ist mit zwei bis drei Prozent allerdings weiterhin sehr gering.

Der Zugang zu einem Studium auf Tertiärstufe und sein erfolgreicher Abschluss hängen stark von der sozialen Herkunft ab. Kinder aus Akademikerfamilien haben hierzulande im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine anderthalbmal so grosse Chance, ein Studium auf der Tertiärstufe zu absolvieren. In den meisten europäischen Staaten ist die soziale Disparität mit einem Verhältnis von etwa 2 bis gut 3 allerdings deutlich grösser. Die soziale Selektivität beim Hochschulzugang äussert sich in der Schweiz vor allem in der Wahl der Hochschultypen: Akademikerkinder sind an universitären Hochschulen mehr als doppelt so stark vertreten wie Kinder aus Nichtakademikerfamilien. Die Studienerfolgsquote beträgt seit Jahren rund 70 %; sie hat sich auch im Bologna-System kaum erhöht. Heute erlangen sogar weniger Studierende einen Abschluss auf der zweiten Studienstufe (Master) als im alten System. Der Anteil Studierender an universitären Hochschulen, die nach dem Bachelor ein Masterstudium in Angriff nehmen liegt im Mittel bei gut 80 %.

Die Erwerbstätigenquote von Hochschulabsolventinnen und -absolventen liegt ein Jahr nach Abschluss bei 85 % bis 95 %. Allerdings üben nicht alle Erwerbstätigen eine Tätigkeit aus, die einen Hochschulabschluss erfordert. Wird berücksichtigt, dass nicht alle MaturandInnen ein Hochschulstudium beginnen und erfolgreich abschliessen, so lässt sich sagen, dass von einer Ausgangskohorte von MaturandInnen schliesslich nur etwa zwei Drittel später eine ausbildungsadäquate Anstellung innehaben. Die Modularisierung und die gestuften Studiengänge des Bologna-Systems haben an dieser Situation wenig geändert. Das ist angesichts der tiefen Maturitätsquote in der Schweiz eine ernüchternde Bilanz, und es bleibt eine bildungspolitische Herausforderung, die Zahl der Studienabbrüche zu verringern.

Literaturhinweise

Becker, R., Der Übergang ins Hochschulstudium Prozesse und Mechanismen am Beispiel der deutschen Schweiz. In M. M. Bergman, S. Hupka-Brunner, T. Meyer & R. Samuel (Hrsg.), Bildung – Arbeit – Erwachsenwerden: ein interdisziplinärer Blick auf die Transition im Jugend- und Erwachsenenalter (S. 305–331). Wiesbaden: Springer.

Weber, K., Tremel, P. & Balthasar, A. (2010). Die Fachhochschulen in der Schweiz: Pfadabhängigkeit und Profilbildung. Swiss Political Science Review 16(4), 687–713.

Wolter, S. C., Cattaneo, M. A., Denzler, S., Diem, A., Hof, S., Meier, R. & Oggenfuss, C. (2018). Bildungsbericht Schweiz 2018. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.

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