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Diskriminierungsschutz

Tarek Naguib


Erstveröffentlicht: December 2020

Der Diskriminierungsschutz umfasst den tatsächlichen und den rechtlich/ethisch gebotenen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung sowie die Gesamtheit der hierfür zur Verfügung stehenden Handlungsansätze. Diskriminierung gilt als eine über lange Zeit gewachsene, besonders ungerechte und wirkmächtige Form der Benachteiligung, die dadurch charakterisiert ist, dass Menschen aufgrund tatsächlicher oder zugeschriebener Zugehörigkeit(en) zu einer bestimmten Gruppe bzw. Teilgruppe systematisch Nachteile erfahren und Stigmatisierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind. Der Zweck des Diskriminierungsschutzes ist es, mittels rechtlichen und ethischen Regelungen sowie Strategien, Programmen und Massnahmen Formen der Benachteiligung beim Zugang zu Ressourcen abzubauen. Während in der philosophischen Konzeption v. a. die Menschenwürde als Schutzgut in den Vordergrund gerückt wird, geht es aus der Perspektive der Sozialwissenschaften darum, strukturell gefestigte Dominanz- und Hierarchisierungsverhältnisse zu beseitigen.

Zu den gewichtigsten strukturellen Un­­gleich­­heiten, die durch den Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz anzugehen sind, zählen der Altersdiskriminierung, der Ableismus (Behinderung), der Sexismus und Heterosexismus bzw. die Heteronormativität (Diskriminierung aufgrund des biologischen und sozialen Geschlechts, der Geschlechts­identität und des geschlechtlichen Begehrens), der Rassismus (Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, der Religion sowie ethnische Zuschreibungen und Fremd­machungsprozesse) und der Klassismus (bzw. die Diskriminierung aufgrund der sozialen Stellung und Armutsbetroffenheit). In der Praxis handelt es sich dabei häufig um multiple/intersektionelle Diskriminierungen, d. h. Formen der Differenzmarkierung, die sich durch das Zusammenwirken mehrere Diskriminierungskategorien kennzeichnen.

Der Diskriminierungsschutz stützt sich zum einen auf ein menschenrechtliches Konzept, das bereits in der Antike, religiösen Schriften und der Aufklärung angelegt war, und das im Nachgang des Zweiten Weltkriegs im Rahmen der Vereinten Nationen fortentwickelt wurde. Zum anderen wurde das Konzept massgeblich durch emanzipatorische Kämpfe um Grundrechte geprägt, v. a. durch die Bürgerrechts­bewegung der 1960er Jahre in den USA und der transnationalen Dekolonialisierungsbewegun­gen. Zu Beginn der konzeptuellen Auseinandersetzung standen vorwiegend liberale Konzepte im Vordergrund, die gesetzliche Diskriminierungsverbote postulierten und entsprechende Rechtsansprüche gegenüber dem Staaten und Unternehmen forderten.

Ab den 1970er Jahren wurden zunehmend institutionelle Vorkehrungen geschaffen, die die Durchsetzung der Diskriminierungsverbote mittels staatlichen Strukturen unterstützen sollten. Ausserdem wurde bereits früh erkannt, dass es über die formalen Diskriminierungsverbote und institutionellen Mechanismen auch Massnahmen zur gezielten Förderung strukturell benachteiligter Gruppen braucht, die in Ländern wie z. B. den USA, Südafrika und Indien v. a. unter dem Begriff der affirmative action und in Europa als Positive Massnahmen bekannt wurden. Für die Entwicklung der verschiedenen Ansätze tragend waren insbesondere die Theorienbewegungen der legal gender studies und der critical race theory, aber auch die disability legal studies, die theories on law and ageing und der Neo-Materialismus.

Aus diesen historischen Entwicklungen entstand der rechtliche Diskriminierungsschutz, der auf einer ersten grundsätzlichen Ebene die Gesamtheit der geltenden bzw. menschenrechtstheoretisch gebotenen Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen zu Programmatik und Policy-Steuerung, Prävention, Intervention, Restitution, Kompensation und Sanktionierung von Diskriminierung umfasst. Zentral sind zum einen die Um- und Durchsetzung rechtlicher Diskriminierungsverbote, inklusive sogenannter angemessene Vorkehrungen zur Beseitigung individueller Nachteile. Dazu zählen organisatorische Vorkehrungen durch Verwaltungsstellen wie Massnahmen im Bereich Sensibilisierung, Prävention und Vernetzung. Ferner Teil des rechtlichen Diskriminierungsschutzes sind die kritische Policy-Begleitung durch unabhängige staatliche Organisationen wie z. B. parlamentarische Kommissionen, unabhängige Menschenrechtskommissionen und Ombudsstellen sowie die Kontrolle und Aufsicht durch staatliche Überwachungsorgane. Wichtig ist ausserdem die anwaltschaftliche Mobilisierung rechtlicher Verfahren im Privat-, Straf-, Verwaltungs- und Verfassungsrecht durch zivilgesellschaftliche Akteure.

Eine transdisziplinär ausgerichtete Praxis des Diskriminierungsschutzes ist die sogenannte strategische Prozessführung (auch strategic human rights litigation genannt), deren Zweck es ist, Handlungsspielräume zu erweitern, damit sich Diskriminierungsbetroffene gemeinsam im Rahmen von kollektiven organisierten Bewegungen und Allianzen zur Wehr setzen können. Zu den nicht im engeren Sinne rechtlichen Elementen des Diskriminierungsschutzes zählen ausserdem die durch die Soziale Arbeit geprägte Gemeinwesen­arbeit, Aktivitäten der sozial engagierten Kunst, die psychosoziale Beratung, Massnahmen im Bereich der Organisationsentwicklung wie das Diversity-Mainstreaming und -Management, die Politikfeldberatung sowie Diskursinterventionen durch die Wissenschaften.

Die Ebenen, auf denen die jeweiligen Disziplinen ansetzen, sind abhängig von der konkreten Problemstellung, den Zielen und den Methoden: Massnahmen zur Ermächtigung von Betroffenen bezwecken die Unterstützung von Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind wie Beratungsangebote und Projekte im Bereich der Vernetzung, Selbstermächtigung und der selbstbestimmten taktischen Intervention. Massnahmen zur Gestaltung von Entscheidungen fokussieren auf Instrumente, die der Abschreckung und der Beseitigung von Diskriminierung dienen und die Auseinandersetzung mit diskriminierenden Stereotypen und ihre Auswirkungen auf Vorurteile und strukturelle Barrieren fördern. Ausserdem bedarf es sogenannter positiver Massnahmen, die Menschen in Entscheidungspositionen bringen, die über die entsprechenden Diskriminierungserfahrungen verfügen. Massnahmen zur Gestaltung von Vielfalt sind z. B. Quotenregelungen. Ebenfalls dazu zählen weiche Massnahmen, die zum Ziel haben, systematisch und prozessorientiert Sensibilisierung, Prävention, Partizipation u. a. m. die Lebensqualität mit besonderen Anforderungen nachhaltig zu verbessern und günstige Voraussetzungen für die gesellschaftliche Anerkennung, Teilhabe, Partizipation und Inklusion zu schaffen.

Mit Blick auf die Schweiz kann festgestellt werden, dass auf der einen Seite das Konzept des Diskriminierungsschutzes in wissenschaftlichen Diskursen und teilweise auch öffentlichen und Praxis-Debatten an Bedeutung gewonnen hat, insbesondere mit Blick auf die Frage der multiplen Diskriminierung. Auf der anderen Seite wird in Theorie und Praxis aber auch deutlich, dass der Diskriminierungs­begriff sehr allgemein gehalten ist, um spezifische Probleme wie zum Beispiel die Situation von Flüchtlingsfrauen effektiv adressieren zu können. Die Unterschiede im Schutzstandard der verschiedenen von Diskriminierung betroffenen Gruppen gehört denn auch zur aktuell grössten Herausforderung im Diskriminierungsschutz.

Literaturhinweise

Borillo, D. (2002). Les instruments juridiques français et européens dans la mise en place du principe d’égalité et de non-discrimination. Revue française des affaires sociales, 1, 113–125.

Naguib, T., Pärli, K., Copur, E. & Studer, M. (2014). Diskriminierungsrecht: Handbuch für Jurist_innen, Berater_innen und Diversity-Expert_innen. Bern: Stämpfli.

The right to equality and non-discrimination in the administration of justice (2003). In Office of the High Commissioner for Human Rights in coop. with the International Bar Association (Eds.), Human Rights in the Administration of Justice: A Manual on Human Rights for Judges, Prosecutors and Lawyers (pp. 631–679). New York: United Nations Publications.

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