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Fiskalpolitik

Nils Soguel

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Fiskalpolitik ist ein Teilbereich der staatlichen Finanzpolitik und konzentriert sich als Politikfeld im Allgemeinen darauf, das Volumen und die Zusammensetzung der Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Körperschaften zu modulieren, um verschiedene Ziele zu erreichen. Dabei handelt es sich weitgehend um eine institutionelle Politik (polity), die im Dienst zentraler Politikbereiche (policies) u. a. das Ziel hat, Ressourcen (Arbeit, Kapital, Umwelt) zu Konsum- oder Produktionszwecken effektiver und effizienter einzusetzen. Sie kann auch darauf abzielen, die finanziellen und materiellen Güter gleichmässiger zu verteilen, insbesondere in der Sozialpolitik. Und nicht zuletzt kann ihr Ziel darin bestehen, die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit (Wachstum, Arbeitslosigkeit, Inflation) zu steuern.

In der Praxis wird die Fiskalpolitik oft mit dem Ziel der gesamtwirtschaftlichen Regulierung assoziiert, die zwei Stossrichtungen verfolgt. Zum einen geht es um die Glättung von Konjunkturschwankungen und insbesondere um die Abfederung grösserer Störungen im Konjunkturzyklus. Zum anderen soll das langfristige strukturelle Wachstum gefördert werden. Zusammen mit der Geldpolitik stellt die Fiskalpolitik das wichtigste Instrument des Staates dar, um die Konjunktur, d. h. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, zu beeinflussen.

Konjunktur und Struktur hängen miteinander zusammen, folgt die Wirtschaft doch unter konjunkturellen Schwankungen einem strukturellen Trend. Auf lange Sicht wächst eine Volkswirtschaft wie die schweizerische und damit der Wohlstand, welcher im Allgemeinen durch das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) gemessen wird. Kurzfristig kann das BIP aber schrumpfen, wenn die Produktionskapazitäten nicht vollständig ausgelastet sind (Unterbeschäftigung). In diesem Fall spricht man von einem Konjunkturtief beziehungsweise von einer negativen Produktionslücke (negative output gap). Das BIP kann den langfristigen Wachstumstrend aber auch übertreffen. Dann sind die Produktionskapazitäten überbeansprucht, was sich insbesondere in Überstunden niederschlägt. In diesem Fall ist von einer Hochkonjunktur oder einer positiven Produk­tionslücke (positive output gap) die Rede.

In der Wirtschaftstheorie gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Ursachen den Konjunkturschwankungen zugrunde liegen und welche Abhilfemassnahmen sinnvoll sind. Laut der klassischen Lehre (18.–19. Jh.) sind Konjunkturzyklen natürliche Prozesse, die sich dank flexibler Preise und Löhne selbst regulieren. Deshalb sei, so diese Theorie, kein staatliches Eingreifen erforderlich. Die (ab den 1930er Jahren entstandene) keynesianische Theorie berücksichtigt eine gewisse Starre von Preisen und Löhnen, was phasenweise zu erheblicher Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit führt. In diesen Zeiten schrumpfe die Gesamtnachfrage nach Waren und Dienstleistungen, weshalb der Staat eingreifen und die Nachfrage durch Ausgabenerhöhungen und/oder Steuersenkungen ankurbeln müsse. Diese Theorie und ihre Folgeentwicklungen haben die Auffassung populär gemacht, wonach die Finanzpolitik auch auf die Stabilisierung der Gesamtwirtschaft abzielen müsse. Die neoliberale Theorie hat sich (ab den 1970er Jahren) als Reaktion auf den Keynesia­nismus und ganz allgemein auf die staatlichen Interventionen in der Wirtschaft entwickelt. Mit Blick auf die öffentlichen Finanzen sind ihre Vertreter und Vertreterinnen der Meinung, Staatsdefizite würden nur auf kurze Sicht positive Auswirkungen auf das BIP und die Beschäftigung haben und künftige Generationen belasten. Strukturell betrachtet müssten sich die öffentlichen Ausgaben auf jene Bereiche konzentrieren, die für das Wachstum und die Umverteilung von zentraler Bedeutung sind (Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur usw.).

In der Praxis bedient sich die Fiskalpolitik zweier Mechanismen, um Konjunkturschwankungen abzufedern. Der erste Mechanismus besteht aus den automatischen Stabilisatoren, welche bestimmte öffentliche Ausgaben und Einnahmen an die jeweilige Konjunkturlage knüpfen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeitslosenversicherung, deren Leistungen gesetzlich vorgeschrieben sind. Erhöht sich die Zahl der Arbeitslosen, steigt automatisch der Gesamtbetrag der Arbeitslosenentschädigungen. Ebenfalls gesetzlich verankert sind die Modalitäten der Besteuerung. In einem Konjunkturtief vermindert sich das zu versteuernde Einkommen beziehungsweise der steuerpflichtige Gewinn, wodurch die Steuereinnahmen des Staates unvermittelt sinken. Diese Automatismen führen dazu, dass das Staatsdefizit bei einem Konjunkturabschwung steigt und in einer Boomphase abgebaut wird. Ein sich ausweitendes Staatsdefizit kurbelt wiederum automatisch die Gesamtnachfrage und die Konjunktur an, während sich der Defizitabbau mässigend auf die Konjunkturentwicklung auswirkt. Der zweite Mechanismus besteht darin, dass die öffentliche Hand gezielte Impulse zur Beeinflussung der Gesamtnachfrage geben kann. Als Beispiele lassen sich die diversen Bundesprogramme anführen, die darauf abzielen, die Folgen einer Konjunkturflaute beziehungsweise eines durch Inflation geprägten Booms zu mildern. In diesen Fällen nutzt der Staat seinen Handlungsspielraum, um über die öffentlichen Haushalte auf die Konjunktur einzuwirken. Die Interventionen sollten natürlich antizyk­lisch wirken – also die Gesamtnachfrage in Abschwungsphasen ankurbeln und im Falle einer Hochkonjunktur abdämpfen. Aus Gründen technischer Natur (z. B. Verzögerung bei der Umsetzung, falsche Prognosen) oder politischer Natur (Stichwort Klientelpolitik) wirken Interventionen jedoch mitunter prozyklisch. Sie kurbeln somit die Nachfrage bei hoher Konjunktur an und bremsen sie bei tiefer Konjunktur weiter ab.

Die Bundesverfassung verweist auf Grundsätze der Fiskalpolitik. Mit Blick auf die Steuerung der Gesamtwirtschaft folgt die Verfassung der keynesianischen Theorie. In Artikel 100 über die Konjunkturpolitik heisst es: «Bund, Kantone und Gemeinden berücksichtigen in ihrer Einnahmen- und Ausgabenpolitik die Konjunkturlage.» Des Weiteren sieht der Artikel vor, dass der Bund «Massnahmen für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung» trifft. Die Kantonsverfassungen enthalten in der Regel keine derart weit entwickelten Bestimmungen.

In der Bundesverfassung und den Kantonsverfassungen finden sich ausserdem Vorschriften zur Beschränkung der Defizite beziehungsweise der Verschuldung. In diesem Punkt folgen sie gewissermassen der neoliberalen Theorie. Artikel 126 Bundesverfassung schreibt vor, dass der Bund «seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht» hält, und regelt zudem die Grundzüge der Schuldenbremse auf Bundesebene.

Das jeweilige, vom Bund oder den Kantonen erlassene, Finanzhaushaltsgesetz konkretisiert die spezifischen Verfassungsbestimmungen zur Haushaltsführung. Daneben gibt es noch weitere Gesetze, die einen verbindlichen Rahmen für die Finanz- bzw. Fiskalpolitik bilden. Ein Beispiel hierfür ist die Gesetzgebung zur Finanzordnung. Sie legt fest, auf welche Art und Weise die öffentlichen Körperschaften Steuern und steuerähnliche Abgaben erheben und so Einnahmen generieren können. Im Schweizer Kontext sind auch die Gesetzesbestimmungen zur Regelung des Finanzausgleichs und zur Aufgabenteilung zwischen den föderalen Ebenen (Bund/Kantone bzw. Kanton/Gemeinden) zu nennen.

Das Schweizer System der direkten Demokratie schränkt den Handlungsspielraum der Fiskalpolitik ein. Denn in diesem System sind Gesetzesänderungen und insbesondere die Änderung der Steuergesetzgebung besonders aufwändig und zeitintensiv. So ist es zum Beispiel technisch unmöglich, derartige Gesetze im Rahmen der Budgetplanung zu ändern. Somit besteht ein erhöhtes Risiko, dass die im staatlichen Ermessen getroffenen Interventionen prozyklisch wirken, da die Interventionen ihre Auswirkungen zu spät entfalten – nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das konjunkturelle Ungleichgewicht bereits aufgelöst hat. Daher gibt es auf Bundesebene eher die Tendenz, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. In der Schuldenbremse des Bundes kommt dieser Wille konkret zum Ausdruck. Die seit Einführung dieses Instruments gesammelten Erfahrungen zeigen, dass die Schuldenbremse tatsächlich zu einer antizyklischen Anpassung der Bundesausgaben an die jeweilige Konjunkturlage führt. Eine strukturelle Erhöhung der Ausgaben verhindert sie aber nicht, wenn diese Ausgabensteigerung mit einer – ebenfalls strukturellen – Zunahme der Einnahmen (wie kürzlich im Zuge der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes) einhergeht. Die Kantone haben vor Kurzem ihrerseits verbindliche Vorschriften erlassen, die auf den Ausgleich ihrer Haushalte und Finanzen abzielen. Die jeweilige Konjunkturlage wurde dabei kaum beachtet. Bei einer negativen Produk­tionslücke können derartige Bestimmungen die Politik zur Umsetzung von Sparprogrammen zwingen, die dann prozyklisch wirken. Um in einem föderalen Staat wie der Schweiz eine kohärente Fiskalpolitik sicherzustellen, wäre es daher erforderlich, die derzeit geltenden kantonalen Vorschriften zu überprüfen.

Literaturhinweise

Eidgenössische Finanzverwaltung (2016). Ökonomische, rechtliche und organisatorische Grundlagen der Haushaltführung des Bundes. Bern: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Soguel, N. (Éd.) (2011). Des politiques au chevet de la conjoncture – Die Politiken als Retterinnen der Konjunktur. Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes.

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