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Nicht statutarische Eltern

Marianne Modak

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Soziologin Virginie Descoutures verwendete den Begriff zur Bezeichnung lesbischer Frauen, die sich in einer homosexuellen Beziehung an der Erziehung des Kindes der Partnerin beteiligen und Elternarbeit leisten, ohne die normalerweise daraus hervorgehenden Elternrechte in Anspruch nehmen zu können – abgesehen von den Rechten, die ihnen die rechtlichen (statutarischen) Eltern sowie das Kind informell einräumen. Das Problem, das Vereinigungen für gleichgeschlechtliche Paare öffentlich angeprangert haben, betrifft lesbische Frauen besonders, aber nicht nur: Betroffen sind auch die Partnerinnen und Partner von heterosexuellen Müttern und Vätern, die mit einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner eine Patchworkfamilie bilden.

Aufgrund dieses juristischen Vakuums, das erst vor kurzem teilweise geklärt wurde, bleibt nicht statutarischen Elternteilen die öffentliche Anerkennung versagt. Sie kompensieren dies zum Teil mit privaten Strategien, etwa indem sie das Kind finanziell unterstützen, sich an der Erziehungsarbeit beteiligen, symbolische Ressourcen mobilisieren, ein Beziehungsnetz aufbauen, das ihrer Elternrolle gegenüber wohlgesinnt ist, und vor allem, indem sie sich die Unterstützung der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners sichern. Betroffen von der Problematik sind aber auch die Kinder, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gezeugt und geboren wurden, denn ihnen bleibt das Grundrecht auf ein Kindesverhältnis zu zwei Elternteilen versagt. Ihre Eltern haben nicht die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare: Sie dürfen nicht heiraten, sind jedoch seit geraumer Zeit dazu berechtigt, unter bestimmten Bedingungen Kinder zu adoptieren. In der Tat entwickelt sich die laufende, wenn auch schleppend voranschreitende und eher zaghafte «Modernisierung» des Familienrechts zu Gunsten des nicht statutarischen Elternteils. Das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene neue Adoptionsrecht dehnt zum einen das Recht auf Adoption auf homosexuelle Paare in eingetragener Partnerschaft sowie auf heterosexuelle Konkubinatspaare aus. Zum anderen sieht das revidierte Adoptionsrecht neu auch ohne Kindesverhältnis ein Recht auf eine persönliche Beziehung zum Kind vor, sofern die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde einer solchen zustimmt. Zuvor – und in vielen Situationen gilt dies weiterhin – besass der nicht statutarische Elternteil nach Schweizer Recht formell über keinerlei Elternrechte, obschon Gerichte bei der Auslegung des Kindeswohls über einen gewissen Spielraum verfügten. Entsprechend bestand für nicht statutarische Elternteile auch keinerlei Anspruch auf Sozialleistungen, die sich gesetzlich aus den Elternrechten ergeben. Dennoch sind, wie schon vor der Revision, die Pflichten geblieben: ob verheiratet oder im Konkubinat lebend, müssen nicht statutarische Elternteile, die ihren Alltag mit einem Kind teilen, zu dessen Unterhalt beitragen.

Das neue Adoptionsrecht stellt die Institution der Heterosexualität als natürliche Grundlage der Familie grundsätzlich in Frage. Faktisch kommt sie einem Frontalangriff auf die tief verankerten Vorstellungen über das Kindesverhältnis gleich, welche auf der heterosexuellen Zweielternfamilie gründen. Dieser Wandel scheint aus vielerlei Gründen unabwendbar: Erstens wird das Schweizer Recht mit der Revision an die europäischen und ausser­europäischen Gesetze angeglichen. Zweitens wird die Ungleichbehandlung von Kindern mit und Kindern ohne Kindesverhältnis zu zwei Elternteilen sowie die Ungleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung beseitigt. Allerdings handelt es sich um eine unvollständige Korrektur, denn die Heirat sowie die Kindsanerkennung nach dem Vorbild der Vaterschaftsanerkennung bleiben heterosexuellen Paaren vorbehalten. Drittens anerkennt das neue Adoptionsrecht die autonome Gestaltung des Privatlebens durch das Individuum. Damit werden die faktisch bestehenden unterschiedlichen Familienmodelle legitimiert und nicht statutarische Elternteile bei einer Trennung besser geschützt. Viertens kann mit der Revision die Betreuungs- und Erziehungsarbeit von nicht statutarischen Elternteilen (die soziale Elternschaft) besser anerkannt und folglich auch besser geschützt werden.

Davon ist die Schweiz zurzeit noch weit entfernt. Ein rechtlicher Elternteil behält seinen Status selbst dann, wenn er seine Elternrechte und -pflichten nicht wahrnimmt. Nicht statutarische Elternteile dagegen müssen belegen, dass sie sich kompetent in die Erziehung des Kindes einbringen. Aufgrund der Gesetzeslage, gängiger Geschlechtervorstellungen und der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung fehlt es nicht statutarischen Elternteilen im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren an institutionellem Rückhalt. Umso wichtiger ist es für sie, solchen Rückhalt zu erschaffen, damit ihre Beziehung nicht nur als Paarbeziehung, sondern auch als jene eines Elternpaars anerkannt wird. Studien zeigen, dass es für nicht statutarische Eltern, die ihre Elternrolle in Anwesenheit der beiden rechtlichen Elternteile eines Kindes ausüben, schwieriger ist, ihre Position durchzusetzen als für homosexuelle Paare, die ihren Kinderwunsch dank grosser Anstrengungen und ohne Garantie auf Schutz ihrer Elternschaft gemeinsam erfüllt haben. Besonders Stiefmütter in Patchworkfamilien beklagen sich, dass sie etwa bei schulischen oder medizinischen Fragen kein Mitspracherecht haben, obwohl es oft sie sind, die die Entscheidungen im Alltag umsetzen. Die Tatsache, dass sich die elterliche Gewalt nicht ausdehnen lässt auf drei Elternteile, die sich um das Kind kümmern, zeugt von der Macht unseres Modells, das ein Kindesverhältnis durch biologische Abstammung von zwei Elternteilen begründet. Dies, obwohl die Mehrelternschaft in heterosexuellen Patchwork- und Regenbogenfamilien und in homosexuellen Familien längst am Grundsatz rüttelt, dass nur je eine Person den Status als Mutter beziehungsweise als Vater tragen könnte.

All dies lässt kaum Spielraum für die Soziale Arbeit in solchen Familien. Fachpersonen aus Gesundheits- und Sozialwesen sind zwar entsprechend ausgebildet und können sich an die vielfältigen Familienformen anpassen, ihnen sind aber aufgrund der heterozentrischen Ausrichtung der Unterstützungseinrichtungen für Eltern und Familien mitunter die Hände gebunden. Studien zeigen überdies, dass diese Fachpersonen zwar relativ oft im Kontakt mit nicht statutarischen Elternteilen stehen, ihnen gegenüber aber keine schlüssige Haltung einnehmen: Einerseits werden nicht statutarische Elternteile als Erwachsene, die ins Familiensystem eingebunden sind, einbezogen – besonders in der Westschweiz gründet Soziale Arbeit überwiegend auf der systemischen Familientheorie –, andererseits sind sie gegenüber den anderen Elternteilen nicht gleichberechtigt, weil das Gesetz eine solche Gleichstellung nicht zulässt und nicht statutarische Elternteile demzufolge bei Entscheiden mit rechtlichen Folgen, die das Kind betreffen, kein Mitspracherecht haben. Im Alltag dieser Fachpersonen sind nicht statutarische Elternteile also Teil der Familie und Aussenstehende zugleich. Teil der Familie, weil man auf ihre Elternarbeit zählt, Aussenstehende, weil sie keinerlei Rechte haben: Ihr fehlender Status hindert sie daran, bei Entscheidungen, die das Kind betreffen, mitzureden. Weiter geschwächt wird ihre Stellung dadurch, dass nur die rechtlichen Eltern Anspruch auf die Sozialleistungen haben, die mit der Elternschaft einhergehen.

Literaturhinweise

Ansermet, C., Ben Hounet, Y., Gaberel, P. & Modak, M. (2014). Le «parent non statutaire» face aux cadres institutionnels suisses: entre espoirs et angoisses. Dans A. Fine & J. Courduriès (Éd.), Homosexualité et parenté (pp. 189–203). Paris: Armand Colin.

Nay, Y. E. (2013). Queering citizenship? Processes of normalisation of same-sex and transgender parents in law – Qu(e)er zum Recht? Normalisierungsprozesse gleich- und transgeschlechtlicher Elternschaft durch Recht. FamPra.ch, 13(2), 366–394.

Odier, L. (2018). Les métamorphoses de la figure parentale: analyse des discours de l’Ecole des parents de Genève, 1950 à 2010. Lausanne: Antipodes.

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