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Prostitution

Agnes Földhazi

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Prostitution wird gemeinhin als eine ökonomische Transaktion zwischen zwei Arten von Akteuren betrachtet: den Sexarbeitenden sowie ihren Kunden. Sexarbeit wird (zumindest im Kontext der Schweiz) hauptsächlich von Frauen oder Personen mit weiblichem Aussehen betrieben, die einen Migrationshintergrund haben und häufig aufgrund ihrer Tätigkeit stigmatisiert werden. Neben der sozialen Ächtung, die mit diesem Gewerbe verbunden ist, ist die Tätigkeit auch geprägt durch unvorhersehbare und schwankende Einnahmen und ein erhöhtes Risiko für verschiedene Formen von Gewalt. Die Kundschaft besteht vorwiegend aus Männern. Prostitution oder Sexarbeit stellt die Gesellschaft vor eine ganze Reihe von Herausforderungen bezüglich Gesundheit (Prävention von Risiken für die öffentliche Gesundheit), Sicherheit (Bekämpfung der mit dem Handel von Migrantinnen und Migranten verbundenen Kriminalität), Moral (Schutz von Minderjährigen und Risiko von Obszönitäten), Finanzen (Gewinnbesteuerung) oder auch Zonenplanung (Stadtentwicklung).

Das Prostitutionsgewerbe stellt eine moralische Kontroverse dar. Deshalb sind bei der Analyse der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse dieses Phänomens zwei Sichtweisen vorherrschend: Einerseits wird die Prostitution als letzte Stufe der Ausbeutung von Frauen durch Männer angeprangert, andererseits die potenzielle Selbstbestimmung der Sexarbeiterinnen und -arbeiter in den Vordergrund gerückt. Diese beiden Sichtweisen prägen auch die Art, wie Prostitution innerhalb der verschiedenen sozialpolitischen Ansätzen behandelt wird.

Im Umgang mit der Prostitution lassen sich drei Modelle unterscheiden: der prohibitive Ansatz (alle Akteure werden kriminalisiert, Prostituierte ebenso wie Kunden und Zuhälter), der Ansatz der Abschaffung (da die Prostituierten als Opfer gesehen werden) und der regulierende Ansatz (eine Reglementierung der Prostitution durch den Staat soll eine Bekämpfung der Kriminalität und bessere Arbeitsbedingungen für die Prostituierten ermöglichen). Im letzten Fall wird die Prostitution zwar als legale Tätigkeit betrachtet, sie unterliegt jedoch Einschränkungen, insbesondere durch Kontrollen (inklusive der Führung von Registern durch die Polizei) und die Begrenzung auf bestimmte Zonen. In der Schweiz ist der regulierende Ansatz vorherrschend, die Ausübung der Prostitution ist hier also zugelassen. Sie wird als privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit betrachtet, die dem Grundsatz des freien Wettbewerbs folgt, vorausgesetzt, die Prostituierten arbeiten selbstständig. Dies bedeutet, dass sie nicht als Angestellte (Arbeitsvertrag) arbeiten dürfen.

Der gesetzliche Rahmen in der Schweiz ist (in bündiger Form) durch das Schweizerische Strafgesetzbuch festgelegt. In Artikel 199 StGB heisst es, wer den kantonalen Vorschriften über die Ausübung der Prostitution zuwiderhandle, werde mit einer Geldbusse bestraft. Damit obliegt es also den Kantonen, genaue Rahmenbedingungen für das Prostitutionsgewerbe zu definieren. Diese verfügen über einen bestimmten Spielraum bei der Regulierung der Prostitution auf ihrem Kantonsgebiet (durch Gesetze oder kantonale Verordnungen). Bei den Kantonen zeigt sich seit dem Jahr 2000 eine Tendenz, Gesetze für eine strengere Regulierung der Prostitution zu erlassen, oft mit dem erklärten Ziel, die Personen, die diese Tätigkeit ausüben, besser zu schützen.

Es ist äusserst schwierig, zuverlässige Zahlen zum Phänomen der Prostitution in der Schweiz zu finden, da auch die Kontrollen von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Auf Bundesebene gibt es bis heute keine entsprechende Statistik. Aus­serdem macht der schleichende Übergang zwischen offizieller und nicht offizieller Prostitution eine genaue Erfassung nicht leicht. So gibt es viele Personen, die bloss gelegentlich der Prostitution nachgehen und nicht in den Zählungen auftauchen. Man kann nur abschätzen, wie viele Sexarbeitende es in der Schweiz gibt (zwischen 4 000 und 8 000). Dennoch zeigen Beobachtungen der Sittenpolizei sowie von Verbänden zur Unterstützung von Sexarbeitenden, dass die Zahl der in diesem Gewerbe aktiven Personen zugenommen hat, so dass das Angebot mittlerweile grösser ist als die Nachfrage und deshalb die Arbeitsbedingungen schlechter geworden sind (niedrigere Preise und Akzeptanz riskanter Praktiken).

In der Schweiz ist der Rahmen des Prostitutionsgewerbes durch eine (mehr oder weniger enge) Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren vorgegeben: die kantonalen Gesundheitsbehörden und Kantonspolizei sowie Organisationen, welche die Sexarbeitenden unterstützen und vertreten. Eine effiziente Zusammenarbeit bedeutet, dass die Bedürfnisse der Prostituierten bei der Erarbeitung von Massnahmen (mehr oder weniger) berücksichtigt werden, um Programme zur Senkung der Risiken für die öffentliche Gesundheit zu ermöglichen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit werden übrigens auch Lösungen gesucht für die vielen Formen der Gewalt, denen Sexarbeitende ausgesetzt sind: auf politischer (administrative Hürden), wirtschaftlicher (Ausbeutung), physischer (körperliche und sexuelle Übergriffe) sowie psychischer Ebene (Beleidigungen, Erniedrigungen).

2014 wurde durch eine Gesetzesänderung im Strafgesetzbuch ein Mindestalter eingeführt (18 Jahre), womit die Schweiz den Forderungen des Übereinkommens des Europarats zum besseren Schutz Minderjähriger gegen Ausbeutung und sexuellen Missbrauch genügt. Der Kampf gegen verschiedene Formen der Ausbeutung ist auch das Hauptanliegen der Organisationen, die die Sexarbeitenden unterstützen, sowie der Gewerkschaften, welche die Interessen ihrer Mitglieder durch intensive Lobbyarbeit vertreten (meist auf kantonaler Ebene, zum Beispiel bei der Ausarbeitung von Gesetzen). Dieses gut entwickelte und breite Netzwerk widerspiegelt die Vielfalt der Kontexte dieses Gewerbes sowie das unterschiedlich ausgeprägte Zugehörigkeitsgefühl zu einer Berufsgattung.

Eine Massnahme, die derzeit diskutiert wird, ist die Kriminalisierung der Kunden. Ziel ist es, das Phänomen der Prostitution vollständig verschwinden zu lassen, indem statt des Angebotes die Nachfrage kriminalisiert wird. Seit der Einführung solcher Massnahmen – erstmals in Schweden im Jahr 2000 und 2016 auch in Frankreich – stehen die Kunden sowohl in den Medien als auch in der Politik stärker im Scheinwerferlicht, dies auch in der Schweiz. Dennoch wird eine solche Massnahme von vielen Seiten (wie etwa von Vertretern der Sexarbeitenden) kritisiert: sie sei hinsichtlich einer Risikoreduktion kontraproduktiv (vor allem, weil die Prostitution auf diese Weise in die Illegalität verbannt wird) und widerspreche dem Recht des Menschen, frei über seinen Körper zu verfügen.

Eine andere viel diskutierte Frage betrifft die häufige Gleichsetzung der Begriffe Frauenhandel und Prostitution, da einige VerfechterInnen Prostitution als Gewalt an Frauen sehen. In der Tat erinnern einige Aspekte der Migrationserfahrungen von Sexarbeiterinnen mit vorübergehender oder irregulärer Aufenthaltserlaubnis an die Definition von Menschenhandel und können für die Betroffenen äusserst schwerwiegende Folgen haben. Aufgrund ihres illegalen Aufenthalts in der Schweiz können sich diese Frauen nicht an die Polizei wenden; viele von ihnen mussten zudem für die Reise nach Europa Schulden machen, wurden Opfer von Gewalt (auch Freiheitsberaubungen) oder sind durch falsche Versprechungen hierher gelockt worden (beispielsweise eine Anstellung in der Gastronomie). Dennoch hat sich der Bundesrat in seinem Bericht über «Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung» im Juni 2015 gegen ein Verbot der Prostitution ausgesprochen und ist der Ansicht, dass der Kampf gegen Menschenhandel vor allem durch eine Sensibilisierung der Akteure erfolgen soll (beispielsweise durch besondere Aus- und Weiterbildungsangebote für Polizei und Justiz).

Literaturhinweise

Bugnon, G., Chimienti, M. & Chiquet, L. (2009). Marché du sexe en Suisse : état des connaissances, best practices et recommandations. Genève : Université de Genève.

Bundesrat (2015). Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung: Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 12.4162 Streiff­-Feller, 13.3332 Caroni, 13.4033 Feri und 13.4045 Fehr. Bern: Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement.

Földhazi, A. & Chimienti, M. (2007). Marché du sexe et violences à Genève. Genève : Université de Genève.

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