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Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen

Sebastian Schief


Erstveröffentlicht: December 2020

Einer älteren Definition von Martinez-Lucio und Blyton folgend, ist Flexibilität die Freiheit, die Quantität und die Qualität des Arbeitsinputs zu variieren oder der Nachfrage anzupassen. Neben der Flexibilisierung im Sinne einer Anpassung des Arbeitsinputs an die Nachfrage gibt es zudem eine Flexibilisierung des Inputs an die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Frage der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ist auf drei verschiedenen Ebenen angesiedelt. Zum einen die individuelle Ebene der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Hier verbinden sich Flexibilisierungsanforderungen und –wünsche mit Sicherheitsbedürfnissen. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebe­ne bzw. auf der politischen Ebene, werden die Rahmenbedingungen für Flexibilität und Sicherheit definiert. Stichwort sind hier atypische Arbeitsverhältnisse, Sozialstaat und Arbeitsrecht. Auf der Mesoebene, der betrieblichen Ebene, werden in Aushandlungsprozessen Flexibilitätsmuster implementiert, die den Anforderungen der Unternehmen genügen und auch den Anforderungen der Arbeitnehmenden genügen sollten. Von ganz erheblicher Bedeutung ist dabei, wer entscheidet, wann und wie gearbeitet werden muss. Flexibilität, Sicherheit und Autonomie von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hängen nun miteinander zusammen. Je nachdem, welche Art der Flexibilität gewählt wird, können unterschiedliche Grade der Autonomie und Sicherheit attestiert werden. Es stellt sich die Frage, ob es nicht Möglichkeiten der Arbeitsorganisation in Unternehmen gibt, die diese scheinbar widersprüchlichen Ziele – Flexibilität, Sicherheit und Autonomie – verknüpfen. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns ansehen, was für Formen der Flexibilität von Unternehmen es gibt.

Man unterscheidet intern-numerische (Ar­beitszeitorganisation, Variation der Arbeits­zeit, Variation der Arbeitsintensität), extern-­numerische (Einstellungen und Entlas­sun­gen, Befristete Arbeitsverträge, Tempo­rär­beit), intern-funktionale (Umschulung, Versetzung, Mehrfachqualifikation, Aufgabenwechsel, Delegation und Verantwortung) und extern-funktionale Flexibilität (Outsourcing, Unternehmensnetze, Werkverträge/Freelancing).

Die Flexibilitätsformen lassen sich in Bezug auf Sicherheit und Autonomie ganz unterschiedlich einordnen. Temporärarbeit (extern-numerisch) erlaubt keine Autonomie und geringe Sicherheit für Arbeitnehmende, aber hohe Flexibilität für das Unternehmen. Einstellen und Entlassen (extern-numerisch) bedeutet geringe Autonomie und geringe Sicherheit für Arbeitnehmende, aber hohe Flexibilität für das Unternehmen. Überstunden (intern-numerisch) haben wenig Autonomie und hohe Sicherheit, aber Flexibilität für das Unternehmen zur Folge. Bestimmte Formen der Arbeitszeitorganisation wie zum Beispiel Arbeitszeitkonten oder Gleitzeit (intern-numerisch) sind aber besonders geeignet, das Dilemma aus Flexibilität, Sicherheit und Autonomie zu lösen. Ist es doch so, dass bei intelligenter Arbeitszeitorganisation Unternehmen das Arbeitsvolumen der Nachfrage anpassen können, aber auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gewisses Mass an Sicherheit und Autonomie herrscht. Flexible Arbeitszeiten (intern-numerisch) können also hohe Flexibilität mit hoher Autonomie und hoher Sicherheit kombinieren. Arbeitszeitflexibilisierung ist ein Mittel, das sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmende gerecht werden kann. In der Schweiz wird im Moment über verschiedene Formen der Lockerung der Arbeitszeitregeln diskutiert, was insbesondere als Flexibilisierung interpretiert wird. Entscheidend wird dabei sein, welche Formen der Selbst­bestimmung von Dauer und Lage der Arbeitszeiten für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen implementiert werden. Daran wird sich zeigen, ob die neue Regulierung potenziell schädlich für diese Gruppe ist.

Eine besondere Form der extern-numerischen Flexibilität verbindet sich mit dem Schlagwort der Digitalisierung im Allgemeinen und der so genannten Plattformwirtschaft im Speziellen. Hierbei handelt es sich quasi um eine institutionalisierte Form des Outsourcings (extern-funktional), bei dem Plattformbetreiber wie zum Beispiel Booking.com, Amazon oder auch Uber lediglich als Vermittler zwischen Kundinnen und Kunden sowie selbstständigen Produzentinnen und Produzenten dienen. Die lose Kopplung von Ort, Arbeitsverhältnis und Produkt führt zu einer deutlich höheren Flexibilität. Sozialpolitisch problematisch ist diese spezielle Form der extern-funktionalen Flexibilität, weil die Regulierung der Arbeitsbedingungen ganz wesentlich auf dieser engen Kopplung zwischen Ort, Arbeitsverhältnis und Produkt beruht. Insbesondere gilt dies für die massive Nutzung von Selbstständigen als Produzentinnen und Produzenten, da dies eine institutionelle, gewerkschaftliche Organisation besonders schwierig macht. Plattformen als neue Organisationsformen mit loser Kopplung und verstärktem, quasi dem Geschäftsmodell inhärenten Outsourcing, beschleunigen den ohnehin vorhandenen Trend weg vom Normalarbeitsverhältnis und verstärken damit noch die weiter unten beschriebenen sozial­politischen Schwierigkeiten der Absicherung von prekär Beschäftigten. Diese Form extern-funktionaler Flexibilisierung stellt die am stärksten ausgeprägte Form von Autonomie und Flexibilität für das Unternehmen, also die Plattformen dar, empirisch zeigt sich, dass Autonomie, Sicherheit und Flexibilität der Anbieterinnen und Anbieter darunter aber stark leiden. Ein routinisierter Umgang mit diesem Angriff auf Marktordnungen und Marktregulierungen ist nicht in Sicht, wobei die weit verbreitete Haltung, dass es sich bei der Digitalisierung um eine sozusagen naturgegebene Entwicklung handele, deren Folgen man deswegen hinnehmen müsse, nicht nachvollziehbar erscheint. Vielmehr geht es um die Gestaltung der Digitalisierung, um die sozialpolitischen Folgen der Digitalisierung zumindest abmildern zu können. Dies ist im Falle von Uber in der Schweiz zum Teil auch schon geschehen. Die SUVA hat in diesem Fall entschieden, dass Fahrerinnen und Fahrer von Uber nicht selbstständig erwerbstätig sind, sondern als Angestellte sozialversichert werden müssen. Der Fall ist vor dem Bundesgericht hängig.

Welche Flexibilitätsmuster Unternehmen nutzen, hängt ganz massgeblich vom Standort ab, da unterschiedliche Länder und Branchen ganz unterschiedliche Kulturen und Regulierungen haben.

Gesellschafts- und sozialpolitisch ist die Art der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse aus dreierlei Gründen von erheblicher Bedeutung. Erstens hat die Anzahl psychischer Erkrankungen in der Schweiz stark zugenommen, was insbesondere auch mit Überlastungen im Beruf zu tun hat. Im Dezember 2016 waren 46 % aller IV-Renten psychisch bedingt. Dies kann eine direkte Folge der Diskrepanz zwischen mangelnder Autonomie bei gleichzeitiger hoher Arbeitslast sein und verringert zudem auch die Chance, gesund das AHV-Alter zu erreichen. Mit der stärkeren Etablierung der Plattform-Ökonomie mit den weitgehend ungünstigeren Arbeitsbedingungen könnte sich dieser Trend über die Zeit noch erheblich verschärfen, wenn es nicht zu nationalstaatlichen wie supranationalen Regulierungen kommt. Zweitens ist eine Flexibilisierung, die sich ausschliesslich an den Bedürfnissen der Unternehmen ausrichtet, für einen Ausgleich zwischen Arbeits- und Privatleben nicht zuträglich. Die sozial- bzw. gesellschaftspolitischen Folgen reichen von einer Entscheidung zur Kinderlosigkeit bis zu fragmentierten Erwerbskarrieren, die Lücken in die Altersvorsorge der Betroffenen – zumeist Frauen – reissen. Auch hier sind die Modelle der Plattform-Ökonomie geradezu exemplarisch dazu geeignet, diese sozial- und gesellschaftspolitischen Folgen noch zu verschärfen. Beispielhaft ist hier an Plattformen zu denken, die in kleine Teile zerlegte Dienstleistungen (z. B. Übersetzungen) zu Niedrigstpreisen anbieten. Drittens führen die oben genannten Entwicklungen zu einer Verlangsamung der Produktivitätsentwicklung der Schweiz, was insgesamt für den Wohlstand der Eidgenossenschaft nicht zuträglich ist. Mit der verstärkten Digitalisierung könnte sich dieses Problem sogar noch verschärfen.

Literaturhinweise

Kirchner, S. & Beyer, J. (2016). Die Plattformlogik als digitale Marktordnung: Wie die Digitalisierung Kopplungen von Unternehmen löst und Märkte transformiert (WiSo-HH Working Paper 39). Hamburg: Universität Hamburg.

Martinez-Lucio, M. & Blyton, P. (1995). Industrial relations and the management of flexibility: factors shaping developments in Spain and the United Kingdom. International Journal of Human Resource Management, 6(2), 271–291.

Schief, S. (2010). Does location matter? – An Empirical Investigation of Flexibility Patterns in Foreign and Domestic Companies in Five European Countries. International Journal of Human Resource Management 21(1), 1–16.

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