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Psychische Gesundheit

Dolores Angela Castelli Dransart

Originalversion in französischer Sprache


Erstveröffentlicht: December 2020

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert psychische Gesundheit als Zustand des Wohlbefindens, in dem der oder die Einzelne seine oder ihre Fähigkeiten entwickeln, die alltäglichen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten kann und imstande ist, etwas zur Gemeinschaft beizutragen.

Die psychische (auch: mentale, geistige) Gesundheit wird von einem komplexen Wechselspiel verschiedenartiger Faktoren beeinflusst: Biologische: Genetische oder physiologische Aspekte;Psychologische: Kognitive oder emotionale Aspekte;Soziokulturelle: Beziehungen in Familie, Schule, am Arbeitsplatz, Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft, soziale Unterstützung;Sozioökonomische: Lebensumstände, Einkommen, Ausbildung, Beschäftigung, Arbeitsbedingungen;Politische und institutionelle: Grundrechte werden respektiert und können ausgeübt werden, Zugang zu Ressourcen und Unterstützungsangeboten.

Diese Faktoren beeinflussen die Bereiche, die die psychische Gesundheit beeinflussen. Dazu gehören die körperliche Gesundheit, die Sozialpolitik (insbesondere Jugendpolitik, Alters­politik, Familienpolitik), Wirtschaft, Beschäftigung und Wohnungspolitik, um nur einige zu nennen.

Schätzungen zufolge stuft die Mehrheit der in der Schweiz lebenden Personen ihre eigene psychische Gesundheit als gut ein. Doch jeder Mensch macht mindestens einmal im Leben eine psychische Krise durch, die mitunter die psychische Gesundheit beeinträchtigen kann. Die psychischen Probleme wirken sich nicht nur auf die Privatsphäre und den Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen aus, sondern auch auf ihre Ausbildung, ihr Berufs- und Arbeitsleben sowie ihr soziales Leben. Die Folgen können Invalidität oder sogar Suizid sein. Angesichts der direkten und indirekten Kosten, die psychische Probleme verursachen (Pflege, Sozialversicherungen, Sozialhilfe, Produktivitätsverlust), sind von der Problematik nicht nur das Individuum und seine Angehörigen betroffen, sondern auch die Gesellschaft. Davon zeugt etwa die Tatsache, dass psychische Probleme in der Schweiz der häufigste Invaliditätsgrund sind. Nicht umsonst gehört die psychische Gesundheit zu den Prioritäten der Gesundheitspolitik und zu den Herausforderungen, denen sie sich stellen muss. Die Tatsache, dass Gesundheit ohne psychische Gesundheit nicht möglich ist, hat nicht nur die Wahrnehmung von Gesundheit verändert, sondern auch zur Entstehung eines neuen Zweigs, der öffentlichen Gesundheitspolitik im Bereich psychische Gesundheit (Public Mental Health), geführt. Nach einem umfassenden Paradigmenwechsel erfuhr dieser Zweig in den 1990er Jahren neue Impulse. Die öffentlichen Akteure beschränkten sich nicht mehr auf die traditionellen Handlungsfelder Psychohygiene und Psychiatrie, sondern befassten sich neu mit der psychischen Gesundheit aus zwei Blickwinkeln: positive psychische Gesundheit (Autonomie, Wohlbefinden, persönliche Entfaltung) und negative psychische Gesundheit (psychische Notlagen infolge bestimmter Lebenslagen, psychische Störungen). Die öffentliche Gesundheitspolitik im Bereich psychische Gesundheit umfasst demnach folgende miteinander verknüpfte Massnahmen:Förderung der psychischen Gesundheit: Stärkung der persönlichen Ressourcen und Schaffung eines Umfelds, in dem solche Ressourcen erworben und genutzt werden können;Prävention: Abbau von Risikofaktoren und Vorbeugung von psychischen Störungen;Planung, Organisation und Betrieb von polyvalenten und spezialisierten Behandlungs-, Betreuungs-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungseinrichtungen für Personen mit psychischen Störungen;Sensibilisierung der Bevölkerung, Ausbildung von verschiedenen Berufsgruppen sowie Erarbeitung fundierter Daten.

Die Umsetzung dieser Massnahmen setzt geeignete Programme und Angebote voraus, die sich an den Bedürfnissen der Zielgruppen und an den Problemen ausrichten, die in den verschiedenen Lebensphasen oder als Folge von kritischen Ereignissen auftreten können. Der globale Aktionsplan für psychische Gesundheit 2013–2020 hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die Steuerung im Bereich der Public Mental Health zu stärken und ein umfassendes Angebot an medizinischen Leistungen und sozialer Unterstützung für Menschen mit psychischen Störungen zu fördern. Diese Ziele setzen das Engagement, gemeinsame Aktionen und eine enge, koordinierte Zusammenarbeit von zahlreichen Akteuren voraus, die auf nationaler, regionaler, kantonaler und lokaler Ebene in den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen (Gesundheit, Soziales, Bildung, Wirtschaft, Stadtplanung, Mobilität, Bürgerbeteiligung) tätig sind.

In der Schweiz führt der Bund mangels gesetzlicher Grundlagen nur wenige Massnahmen aus; es sind hauptsächlich die Kantone, die für die öffentliche Gesundheit zuständig sind. Die Hälfte der Kantone verfügte im Jahr 2014 über ein Programm für psychische Gesundheit, weitere neun Kantone führten Massnahmen ohne spezifisches Programm durch. Der Bund tritt dennoch als Akteur auf, ist er doch für die Bereitstellung von statistischen Daten und für das Monitoring zuständig. Weiter spricht der Bund über die Invalidenversicherung Renten zu und unterstützt Eingliederungsmassnahmen, vergütet über die obligatorische Krankenkasse medizinische Leistungen im Falle von psychischen Krankheiten, gewährleistet über das Arbeitsgesetz den Schutz der Arbeitnehmenden und sorgt im Rahmen der Beschäftigungspolitik für die Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt. Der Bericht «Dialog-Projekt psychische Gesundheit» des Bundesamts für Gesundheit (BAG), der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und von Gesundheitsförderung Schweiz hat für die Schweiz folgende Bedürfnisse und Handlungsschwerpunkte identifiziert: Sensibilisierung, Entstigmatisierung und Information;Massnahmen in den Bereichen Gesundheitsförderung, Prävention und Früherkennung;Sensibilisierung und Wissensvermittlung;Strukturen und Ressourcen.

Der Aktionsplan soll sich auf das Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz abstützen.

Die öffentliche Gesundheitspolitik im Bereich psychische Gesundheit steht vor zahlreichen Herausforderungen. Eine davon ist der Aufbau eines integrierten Steuerungssystems, das Entwicklungen antizipieren und die Mittel bedarfsgerecht unter den verschiedenen AdressatInnen optimal zuteilen kann. Eine verbesserte Koordination und die Nutzung von Synergien zwischen den Akteuren dürfte letztlich bessere Betreuungs- und Unterstützungsangebote für die Betroffenen herbeiführen. Durch die Einbindung der Betroffenen und ihrer Angehörigen in die Planung und Organisation der Leistungen kann überdies sichergestellt werden, dass das Angebot bedürfnisorientiert und qualitativ hochwertig ist. Die Weiterführung der Sensibilisierungsarbeit in der Bevölkerung, die Ausbildung von Fachpersonen aus verschiedenen Tätigkeitsgebieten und der Wissenstransfer gehören zu den weiteren grossen Herausforderungen der Public Mental Health.

Zwei wichtige Herausforderungen erwarten die öffentliche psychische Gesundheitsversorgung und deren Förderung: Einerseits geht es um die langfristige Bereitstellung von Ressourcen zur Förderung der positiven psychischen Gesundheit und der Früherkennung, wobei gleichzeitig die integrierte Psychiatrie weitergeführt werden muss. Andererseits muss die Förderung der psychischen Gesundheit in die Sozial-, Gesundheits-, Beschäftigungs-, Bildungs-, Wohnungs- und Mobilitätspolitiken eingebunden werden. Ganz allgemein sollten sie in sämtliche Angebote einfliessen, die Einfluss auf die psychische Gesundheit einer Bevölkerung haben (Mental Health in All Policies). Damit steht noch ein umfangreiches Vorhaben an, umso mehr als zu bedenken ist, dass die psychische Dimension der Gesundheit in Forschung, Praxis, Bildung und Politik noch nicht ausreichend berücksichtigt wird und Personen mit psychischen Störungen nach wie vor stigmatisiert und diskriminiert werden.

Literaturhinweise

Bürli, Ch., Amstad, F., Duetz Schmucki, M. & Schibli, D. (2015). Santé psychique en Suisse: état des lieux et champs d’action. Berne: Office fédéral de la santé publique.

Mütsch, M., Schmid, H., Wettstein, F. & Weil, B. (2014). Schweizer Manifest für Public Mental Health. Olten: Public Health Schweiz.

Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz. http://www.npg-rsp.ch/

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