Wörterbuch durchsuchen

Sozialplanung

Jörg Dittmann, Esteban Piñeiro


Erstveröffentlicht: December 2020

Sozialplanung definiert sich herkömmlich über die Planung, Gestaltung und Steuerung der gesamten sozialen Infrastruktur. Vom Begriff der Sozialplanung ist der Sozialplan zu unterscheiden, welcher infolge von geplantem Stellenabbau angewendet wird. Gegenstand der Sozialplanung bildet jedoch das gesamte soziale Inventar mit seiner grossen Vielfalt von Einrichtungen und Angeboten der sozialen Versorgung, unabhängig davon, ob diese dem öffentlichen oder privat organisierten Sozialwesen entstammen. Die Sozialplanung verortet sich im Wesentlichen in den Gemeinden und Kantonen und ihren öffentlichen Verwaltungen, was damit zusammenhängt, dass der Vollzug von (Sozial-)Gesetzen der Verwaltung obliegt und die Verwaltung für die Verwirklichung von Sozialstaatszielen eine besondere Verantwortung trägt. Sozialplanung findet sich auch in zahlreichen nicht-staatlichen Institutionen, wie z. B. Stiftungen, Hilfswerke, Unternehmen und Selbsthilfeorganisationen. Sozialplanung differenziert sich hinsichtlich des territorialen Planungsraums (z. B. Quartier, Gemeinde, Kanton), des Problem- und Entwicklungsfeldes (z. B. Armut, Gesundheit) oder der Zielgruppen (z. B. Kinder, Familien, Ältere) aus und vollzieht sich in unterschiedlichen Politikfeldern. Gegenüber beispielsweise der Bildungs-, Familien- und Migrationspolitik kommt der Sozialpolitik als «Motor» für die Planung und Veränderung der bestehenden sozialen Infrastruktur eine entscheidende Bedeutung zu.

Der Beginn der Sozialplanung wird mit der Einführung der Sozialversicherungen in Europa am Ende des 19. Jh. in Verbindung gebracht. Die Anfänge der gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit bilden einen weiteren Ursprung. In beiden Entstehungskontexten werden zukunftweisende Zwecksetzungen der zu entwickelnden Sozialleistungen und Massnahmen deutlich, um mit konkreten Lebensbedingungen und Standardrisiken des Lebens, d. h. Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter, vorausschauend, planerisch und zielorientiert umgehen zu können.

In der Schweiz hat sich der Begriff der Sozialplanung nicht in der Weise etabliert, wie etwa in Deutschland oder auch im Vergleich zu Dänemark und Schweden, Grossbritannien und Nordamerika. Trotz der geringen Sichtbarkeit gehen sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure des Sozialwesens hierzulande sozialplanerisch vor. Ein Beleg dafür ist die Sozialberichterstattung, die immer häufiger als Instrument für die kantonale Sozialplanung eingesetzt wird. Im Kanton Solothurn ist beispielsweise gesetzlich festgelegt, dass der Regierungsrat den Kantonsrat periodisch in einem Sozialbericht darüber informiert, «ob die Ziele, Resultate und Wirkungen erreicht worden sind und wo die Sozialplanung anzupassen ist» (§ 20, Abs. 5, SG).

Dem gegenwärtigen fachwissenschaftlichen Planungsdiskurs zufolge gliedert sich die Sozialplanung in eine infrastrukturelle und in eine programmatische Gestaltungsebene. Die Infra­strukturplanung bezieht sich auf den Bedarf nach sozialen Hilfsangeboten oder Einrichtungen und fokussiert den Prozess der Bedarfsermittlung. Die Konzept- und Programmplanung richtet sich dagegen auf die vorbereitende Ausgestaltung konkreter Massnahmen sowie Angebots- oder Leistungsformen aus.

Die Sozialberichterstattung liefert insbesondere der Infrastrukturplanung eine wichtige Grundlage zur Ermittlung von Bedarfen. Unter Zuhilfenahme von zumeist bestehenden amtlichen Sozialstatistiken (z. B. Sozialhilfestatik) werden die örtlichen Lebensbedingungen, Problem- und Lebenslagen verschiedener Zielgruppen im zeitlichen Verlauf beschrieben und miteinander verglichen. Mit Blick auf empirische Fundiertheit und Sensitivität gegenüber räumlichen Bedingungen und Besonderheiten werden zunehmend qualitativ ausgerichtete Sozialraumanalysen in die Sozialplanung integriert.

Gegenstand der Programmplanung bilden das einrichtungsbezogene Produkte- und Prozessdesign. In dieser Funktion befasst sich Sozialplanung mit Ziel- und Erfolgsbestimmungen von Produkten und deren Operationalisierung und mit dem Aufbau von fachlichen Begleitungs- und Qualitätssicherungs­strukturen.

Beide Ebenen, die infrastrukturelle und die programmatische, hängen eng miteinander zusammen, müssen doch Hilfsangebote, um praktisch wirksam zu werden, in konkrete Massnahmen und letztlich auch in alltägliche Abläufe übersetzt werden. Eine dienstleistungsorientierte Planungsperspektive hebt die bedarfs- oder lebenslagenbezogene Erbringung sozialer Dienstleistungen hervor, die mit der Schaffung von Infrastrukturangeboten keineswegs schon sichergestellt ist. Sozialplanung auf Infrastrukturplanung zu beschränken, etwa dem Aufbau einer bestimmten Anzahl an Beratungsstellen, Treffpunktangeboten oder Heimplätzen, greift deshalb zu kurz. Sozialplanung erarbeitet nicht nur politische Entscheidungsgrundlagen und sie endet nicht mit der Erstellung einer Analyse oder eines Plans. Über diese Vorbereitungsphase der Entscheidungsvollzüge und Zieldefinitionen hinweg ist Sozialplanung in den direkten Anwendungsbereich involviert. Entscheidungsprozesse werden damit als planungsinhärent angesehen. Dieses Verständnis von Sozialplanung als Teil des Produktionsprozesses sozialer Dienstleistungen bedeutet eine Abkehr vom herkömmlichen einseitig-quantitativen Versorgungsgedanken und der daraus abgeleiteten Einrichtungsplanung.

Im Kontext von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit ist Sozialplanung in hohem Masse normativ geprägt. Einer vielfach vertretenen Lesart folgend, verfolgt die angemessene soziale Versorgung von Personengruppen in einer bestimmten Planungsregion die Kompensation von Benachteiligungen beziehungsweise die Verbesserung der Teilhabechancen bestimmter Bevölkerungsgruppen in verschiedenen gesellschaftlichen Lebenssphären. Als richtungsweisend gilt weiterhin das Planungsideal einer Hilfe zur Lebensbewältigung im Horizont sozialer Gerechtigkeit. Aus diesen Planungsidealen leitet sich ab, dass die Entwicklung sozialer Angebote und die Erbringung von Hilfe- und Unterstützungsleistungen stark an den Lebens­lagen und Bedürfnissen der Betroffenen auszurichten ist. Ein solchermassen responsives Planungsverständnis stellt die Lebensverhältnisse, Lebens- und Bedürfnislagen von Personengruppen oder Milieus ins Zentrum und richtet die Angebotsstruktur und Massnahmenkonzeption an Lebensbedingungen und Bedürfnissen von Zielgruppen aus. Die Effektivität sozialer Dienstleistungsproduktion hängt wesentlich davon ab, inwieweit Angebot und Nachfrage (vonseiten der avisierten Nutzerinnen und Nutzer) aufeinander abgestimmt sind und die Zugänge der Zielgruppe zum Angebot berücksichtigt werden. Die Sozialplanungspraxis folgt zweifelsohne auch anderen Stossrichtungen als dem oben beschriebenen responsiven Planungsverständnis. Die seit Ende der 1990er Jahre in der Schweiz vorzufindende Ausrichtung der öffentlichen Verwaltung nach Prinzipien des New Public Managements und der wirkungsorientierten Verwaltungsführung hat das Planungshandeln in der Verwaltung ökonomisiert und eigene Lesarten von Effektivität und Effizienz erzeugt, die zu einem Sozialabbau führen können.

Die Übersetzung der beispielsweise im Rahmen der Sozialberichterstattung ausgewerteten Daten und Ergebnisse erfordert eine Deutung oder Gewichtung der darin beschriebe­nen Lebenslagen in sozialpolitisch oder sozial­arbeiterisch-sozialpädagogisch relevan­te Bedarfslagen. Damit die professionelle Einschätzung von Lebenslagen nicht zu einer verfehlten Angebots- und Massnahmenplanung führt und Fehlinterpretationen bei der Konzeption von Hilfe- und Unterstützungsleistungen möglichst minimiert werden, bedarf es dialogischer Formen und Betroffenenbeteiligung (Partizipation). Ein solches erweitertes Planungsverständnis bezieht Akteure wie auch Anbietende sozialer Dienste und gesellschaftliche oder politische Gruppierungen mit ein. Die frühzeitige und kontinuierliche Beteiligung aller an der Planung Interessierter, von ihr Betroffener und Involvierter bildet eine zentrale Voraussetzung für den Aufbau eines sozialen Dienstleistungsangebots, respektive eines (kommunalen) Sozialwesens, das situativ und flexibel sowie nachfrageorientiert auf Problemlagen antworten kann.

Literaturhinweise

Brülle, H. & Hock, B. (2010). Dimensionen von Sozialplanung in den Kommunen und der Stellenwert von Jugendhilfeplanung. In S. Maykus & R. Schone (Hrsg.), Handbuch Jugendhilfeplanung: Grundlagen, Anforderungen und Perspektiven (3., vollst. überarb. und aktual. Aufl., S. 67–90). Wiesbaden: VS.

Dittmann, J. & Tappert, S. (2014). Sozialplanung aus Sicht von Planungsträgern: Eine Standortbestimmung der Schweiz am Beispiel der Region Basel. Bern: Soziothek.

Merten, R. & Olk, T. (2018). Sozialpädagogik als Profession: Historische Entwicklungen und künftige Perspektiven. In A. Combe & W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität: Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (8. Aufl., S. 570–582). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

nach oben